Covid 19 – “Force Majeure” – und neue gesetzliche Fristen im französischen Vertragsrecht

Die zurzeit grassierende Epidemie stellt für viele Unternehmen eine bisher noch nicht dagewesene Herausforderung dar. Ein solches Ereignis ist zu unseren Lebzeiten noch nicht eingetreten; seine Bewältigung ist schwierig und stellt oft eine existenzgefährdende Situation dar. Aus juristischer Sicht fragt man sich dann sofort, ob diese Umstände es rechtfertigen einen Vertrag nicht zu erfüllen oder seine Erfüllung zu verschieben, bzw. auszusetzen.

Was bedeutet „Höhere Gewalt“ bzw. „Force Majeure“?

Dieser Terminus hat seinen Ursprung im französischen Recht; das deutsche Recht kommt weitgehend ohne ihn aus, da eine vertragliche Nichterfüllung ein Verschulden voraussetzt; das ist nach französischem Recht nicht der Fall. Während also im deutschen Recht mangelndes Verschulden ausreicht um eine Vertragspartei nicht haften zu lassen, braucht es im französischen und auch in anderen Rechten mehr: Da eine Vertragspartei auch ohne Verschulden haftet, haftet sie bei jedem Vertragsverstoss, es sei denn, sie kann sich auf ein Ereignis Höherer Gewalt berufen.

Grundsätzliche Voraussetzungen der Höheren Gewalt im französischen Recht

Art. 1218 des Code civil, der seit Oktober 2016 gilt, enthält eine Definition der Force Majeure. nach der vier Voraussetzungen müssen erfüllt sein:

– das Ereignis muss sich der Kontrolle der Vertragspartei, die sich darauf beruft, entziehen,

– es durfte bei Abschluss des Vertrages nicht vernünftigerweise vorhersehbar sein,

– die Folgen können mit angemessenen Mitteln nicht überwunden werden, und

– diese Umstände müssen die Vertragserfüllung des Schuldners verhindert haben.

Diese Voraussetzungen wurden im Jahre 2016 bei der Reform des Vertragsrechts des Code civil im Gesetz festgeschrieben. Sie entsprechen allerdings dem von der Rechtsprechung vorher schon entwickelten Begriff.

Höhere Gewalt in der augenblicklichen Situation

– Es kann nicht bezweifelt werden, dass die Corvid 19 Epidemie ein sich der Kontrolle des Schuldners entziehendes Ereignis ist. Dieser Definitionsbestandteil ist etwa in Streikfällen problematisch, wobei danach zu unterscheiden ist, ob der Streik nur im Unternehmen des Schuldners stattfindet oder national ist.

– Die augenblickliche Situation ist auch unvorhersehbar. Es kommt dabei nicht auf einen völlig abstrakten Begriff der Vorhersehbarkeit an, sondern, wie das Gesetz auch sagt, auf einen „vernünftigen“ Standpunkt. Epidemien dieser Art hat es in Europa seit 100 Jahren nicht gegeben. Das Gesetz stellt für die Vorhersehbarkeit auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab. Wird also jetzt ein neuer Vertrag abgeschlossen, können sich die Parteien nicht auf die Epidemie als Entschuldigungsgrund berufen.

– Die Unüberwindbarkeit und die Verhinderung (Unmöglichkeit) sind ist auch in der jetzigen Situation keineswegs immer gegeben. Hier ist vielmehr zu prüfen und zu beweisen, dass das Ereignis die konkrete Vertragserfüllungshandlung unmöglich gemacht hat. Es kommt auf die Ursächlichkeit des Ereignisses an. Wenn es etwa um die Lieferung einer Sache geht, muss der Lieferant nachweisen, dass ihm die Lieferung unmöglich geworden ist. Es reicht nicht aus, auf Transport- oder Versorgungsprobleme hinzuweisen; es muss genau dargelegt werden, wieso diese Probleme die Lieferung unmöglich machen. Dabei ist hervorzuheben, dass ein höherer Aufwand oder höhere Kosten nicht ausreichen. Dieser Mehraufwand muss von der betroffenen Partei getragen werden. Aus Erfahrung kann man sagen, dass der Nachweis der Entlastung durch Höhere Gewalt oft daran scheitert, dass die konkrete Kausalität nicht bewiesen werden kann. Die französische Rechtsprechung ist in der Regel auch zurückhaltend dies zu akzeptieren.

Ein Ereignis Höherer Gewalt kann die Nichtzahlung von Geldschulden nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht entschuldigen; Ausnahmen wären gesetzliche Zahlungsverbote oder Embargobestimmungen.

Die Höhere Gewalt kann die Leistungserbringung dauernd unmöglich machen. Dann ist der Schuldner von seiner Pflicht zur Leistungserbringung befreit (Art. 1218 Abs. 2 i.V.m. 1351 Code civil). Bei einer nur teilweisen Unmöglichkeit tritt die Befreiung für die Teilleistung ein. Das setzt aber voraus, dass die Teilleistung überhaupt wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Gegenleistung braucht nicht erbracht zu werden; wurde sie schon geleistet, kann sie zurückgefordert werden. Häufig tritt aber nur eine vorübergehende Unmöglichkeit ein. Für diesen Fall bestimmt Art. 1218 Abs. 2, dass nach Beendigung und einer angemessenen Anlaufzeit die Verpflichtung zur Vertragserfüllung wieder einsetzt. Für die Dauer der Höheren Gewalt ist der Schuldner entschuldigt; er braucht keine Vertragsstrafen oder Schadensersatz wegen Verzuges zu leisten; eine Vertragsauflösung wäre auch nicht gerechtfertigt.

Weitere Gesetzesgrundlagen, die in Bezug auf „Force Majeure“, zu beachten sind

– Aus Art. 1351 1 Code civil lässt sich entnehmen, dass die Parteien vereinbaren können, dass der Schuldner das Risiko des etwaigen Eintritts der Force Majeure übernimmt.

– Art. 1351 Code civil besagt weiter: Wenn das Ereignis von Force Majeure eintritt, nachdem der Schuldner vom Gläubiger gemahnt wurde, er also bereits in Verzug war, entlastet ihn die Höhere Gewalt nicht.

– Wird der Vertrag nach Art. 1351 Code civil beendet und hat der Gläubiger vorgeleistet, so kann er seine Leistung zurückverlangen.

– Art. 1218 Code civil bestimmt, dass im Falle einer dauernden Unmöglichkeit der Vertrag von Gesetzes wegen aufgelöst ist. Es ist jedoch unklar, wie man das Ende des Vertrages feststellt; eine formelle Kündigung schafft daher klare Verhältnisse.

– Neben der Force Majeure sieht der Code civil seit der Reform des Vertragsrechts im Jahre 2016 auch den Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, auf Französisch „imprévision“, vor, Art. 1195 Code civil. Dies ist eine völlige Neuerung in unserem Recht. Auch die „imprévision“ setzt ein unvorhersehbares Ereignis voraus, das die Leistungserbringung zwar nicht unmöglich macht, aber außerordentlich erschwert. Ein solcher Fall verpflichtet zur Nachverhandlung des Vertrages; falls das scheitert, wird der Vertrag ggf. mit richterlicher Hilfe aufgelöst. Auch die „imprevision“ kann im Falle der Covid 19 Epidemie eine wichtige Rolle spielen. Allerdings geht der Weg über eine zu verhandelnde Vertragsanpassung, was schwierig sein kann und , für die auf wenig Erfahrung zurückgegriffen werden kann.

Vorsicht bei vertraglichen Anpassungen der „Force Majeure“

Wenn der Vertrag dem französischen Recht unterliegt, gelten die oben dargestellten Grundsätze. Der Vertrag kann aber auch selbst eine Force Majeure Klausel enthalten, die, soweit sie reicht, den gerade dargestellten Regeln vorgeht oder sie ergänzt.

In Verträgen findet man häufig folgende Bestimmungen:

– Eine engere oder weitere Definition der Force Majeure. Insbesondere werden bestimmte Ereignisse aufgelistet, die einen Fall von Force Majeure darstellen sollen. Dies ist zwar rechtlich zulässig, es ist aber Vorsicht geboten: Auch wenn ein vertraglich definiertes Ereignis eingetreten ist, bedeutet das nicht automatisch, dass auch die Rechtsfolgen der Force Majeure eintreten. Auch die sonstigen Voraussetzungen der Force majeure müssen gegeben sein.

– Häufig wird vorgesehen, dass die von der Force Majeure betroffene Partei das Ereignis unverzüglich mitzuteilen hat und die Ereignisse beweisen muss. Die Beweislage unterscheidet sich nicht von der des Gesetzes; die Mitteilungspflicht muss sorgfältig beachtet werden, damit der anderen Partei kein Schaden entsteht.

– Oft wird ein Zeitraum vorgesehen, bei dessen Überschreitung die Parteien den Vertrag beenden können. Solche Klausel sind durchaus gefährlich, da sich daraus die Rückgewähr der erbrachten Leistungen ergeben kann. Eine Verhandlungslösung ist dem vorzuziehen.

– Es kann auch vereinbart werden, dass eine Partei bestimmte Ereignisse zu ihren Lasten nimmt und sich dabei nicht auf Höhere Gewalt berufen kann. Solche Klauseln gibt es bei Beschaffungsverpflichtungen; der Lieferant muss deshalb besondere Vorkehrungen treffen, ggf. durch Abschluss einer Versicherung oder alternative Bezugsquellen.

Bei einer rechtlichen Beurteilung ist immer zuerst von der bestehenden vertraglichen Vereinbarung auszugehen; das Gesetz greift nur insoweit ein, als es die getroffenen Vereinbarungen ergänzt.

Ungerechtfertigte Berufung auf „Force Majeure“

Wir möchten darauf hinweisen, dass die Berufung auf Force Majeure nicht leichtfertig erfolgen sollte. Erweist sich später, dass das Ereignis zwar außerhalb der Kontrolle des Schuldners lag und unvorhersehbar war, aber nicht zu einer Unmöglichkeit der Leistungserbringung geführt hat, ist der Schuldner nicht entlastet und haftet für seine Vertragsverletzung. Es ist sicherer die Situation mittels Verhandlungen und durch Zusammenarbeit zu lösen.

COVID 19 – Eingriff des Gesetzgebers – Fristen im frz. Vertragsrecht – neue Schutzperiode

Nachdem die sanitäre Krise unsere Wirtschaft tief beeinträchtigt, hat die französische Regierung per Verordnung Nr. 2020-306 vom 25. März 2020 eine sog. „Schutzperiode“ („période juridiquement protégée“) festgelegt, während derer Fristen ausgesetzt oder verschoben werden.

Diese Schutzperiode läuft vom 12. März 2020 bis 24. Juni 2020 und gestaltet sich im Überblick wie folgt:

Schwierigkeiten in der Vertragserfüllung und Schutzperiode

Verträge enthalten häufig Vertragsstrafen, Strafklauseln, Kündigungsklauseln, etc. um eine Partei davor zu schützen, dass die andere ihren Vertragspflichten nicht fristgerecht nachkommt (z.B. Liefer- oder Zahlungsverzug).

• Sollte eine solche Frist während der Schutzperiode auslaufen, d.h. zwischen dem 12. März 2020 und dem 24. Juni 2020, ist die entsprechende Klausel unwirksam und keine Vertragsstrafe kann zu laufen beginnen. Diese Bestimmunen treten erst wieder nach Ablauf einer Frist von einem Monat nach Ende der Schutzperiode in Kraft, d.h. ab dem 25. Juli 2020, vorausgesetzt natürlich, dass der Schuldner seiner Vertragspflicht nicht in der Zwischenzeit nachgekommen ist.

Beispiel: Im Rahmen einer Kündigungsklausel (clause résolutoire) hat Ihre Firma ihrem Schuldner eine Frist gesetzt binnen 10 Tagen ab dem 6. März 2020 eine Vertragspflicht zu erfüllen. Die Frist wäre während der Schutzperiode, am 16. März 2020, abgelaufen.

Diese Frist ist jedoch ausgesetzt und beginnt erst wieder am 25. Juli 2020 zu laufen, um am 3. August 2020 zu enden.

• Wenn eine Strafklausel oder Vertragsstrafe vor dem 12. März 2020 wirksam geworden ist, d.h. vor Beginn der Schutzperiode, wird sie während dieser Periode ausgesetzt und die Fristberechnung beginnt erst wieder ab dem 25. Juni 2020.

Beispiel: Ein Vertrag sieht vor, dass die Vertragserfüllung spätestens am 12.3.2020 zu erfolgen hat, anderenfalls wird eine Vertragsstrafe von 5000 € pro Tag fällig. Der Lauf dieser Vertragsstrafe wird ab dem 12. März 2020 bis zum 24. Juni 2020 ausgesetzt. Die Pönalen beginnen erst wieder am
25.Juni zu laufen.

Folglich muss jede Situation wie folgt geprüft werden:

• Wenn der Erfüllungszeitpunkt in die Schutzperiode fällt, wird der Beginn auf einen Monat nach Ende der Schutzperiode verschoben, d.h. bis zum 25. Juli 2020.

• Wenn die Strafklausel oder Vertragsstrafe vor dem 12. März 2020 Wirkung entfaltet hat, wird sie ausgesetzt bis zum Ende der Schutzperiode, d.h. bis zum 25. Juni 2020.

Kündigung von Verträgen oder Nichtverlängerung in der Schutzperiode

Wenn ein Vertrag innerhalb einer Frist, die in der Schutzperiode liegt, gekündigt werden kann, oder die Nichtverlängerung ausgesprochen werden müsste, um eine stillschweigende Verlängerung zu vermeiden, werden diese Perioden um zwei Monate nach Ende der Schutzperiode verlängert, d.h. bis zum 24. August 2020.

Beispiel: Ein Vertrag verlängert sich am 15. April jeweils um ein Jahr, es sei denn, er würde von einer Partei spätestens einen Monat vorher gekündigt. Der Beginn dieser einmonatigen Frist liegt innerhalb der Schutzzeit. Die Kündigung ist immer noch bis zum 24. August 2020 möglich.

Nicola Kömpf, Partner und Friedrich Niggemann, Of Counsel, German desk

COVID 19 und Kurzarbeit in Frankreich

Laut Art. R. 5122-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs können Unternehmen in Ausnahmesituationen Kurzarbeit beantragen.

Im Rahmen der allgemeinen sanitären Krise hat die französische Regierung diese Regelungen wie folgt angepasst:

Welche Folgen hat Kurzarbeit auf die laufenden Arbeitsverträge?

Während der Kurzarbeitsperioden wird der Arbeitsvertrag ausgesetzt, aber nicht beendet. Die Arbeitnehmer dürfen während dieser Zeit nicht arbeiten und auch nicht dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen.

Welchen Ausgleich erhält der Arbeitnehmer?

Der Arbeitnehmer erhält grundsätzlich vom Arbeitgeber 70% (mit einem Höchstwert von 4,5 des Mindestlohns (SMIC)) seiner vorherigen Bruttovergütung (d.h. ungefähr 84% seines Nettogehalts).

Diese Entschädigung soll zu 100% vom Staat getragen werden, ohne Anwendung der sonst geltenden Höchstwerte.

Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, das Gehalt bis zu 100% aufzustocken. Die Differenz ist in diesem Fall vom Arbeitgeber allein zu tragen.

Die Entschädigung, die vom Staat getragen wird, ist zu 100% Sszialabgabenfrei, bis auf den Solidaritätszuschlag von 6,2% auf 98,25% der Entschädigung.

Diese Entschädigung ist jedoch, wie jedes Einkommen, einkommenssteuerpflichtig.

Muss der „CSE“ Wirtschafts- und Sozialausschuss (früher Betriebsrat) vor Beantragung von Kurzarbeit informiert oder befragt werden?

Grundsätzlich müssen Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern den CSE vorab befragen. Ist dies nicht möglich, z.B. per Visiokonferenz, ist die Unmöglichkeit zu dokumentieren und die Befragung so bald wie möglich nachzuholen.

In Firmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern ist keine Befragung, sondern nur eine Informationspflicht vorgesehen.

In Unternehmen ohne Personalvertretung sollten die Arbeitnehmer direkt, über die voraussichtliche Dauer der Kurzarbeit und die Anzahl und eventuelle Kategorie der betroffenen Arbeitnehmer informiert werden.

Wo muss der Arbeitgeber Kurzarbeit beantragen?

Alle Anfragen laufen über das spezielle Portal.

Grundsätzlich müssen die Anträge vor Umsetzung der Kurzarbeit gestellt werden, laut der letzten Verordnungen ist dies jedoch noch bis zu 30 Tagen nach Beginn der Kurzarbeit möglich.

Die Anfragen werden grundsätzlich binnen einer Frist von 15 Tagen bearbeitet.

Erhält man keine Antwort, gilt der Antrag als genehmigt.

Der Arbeitgeber muss den „CSE“ über die Antwort der Behörden informieren.

Wie ist der Antrag zu motivieren?

Eine einfache Bezugnahme auf das COVID 19 ist nicht ausreichend und kann zur Ablehnung des Antrags führen!

Es muss genau beschrieben werden, welche Konsequenz das COVID 19 präzise auf die Arbeitnehmer hat.

Drei Hypothesen sind zu unterscheiden:

– Unternehmen, denen das Öffnen untersagt ist

– Unternehmen, deren Tätigkeit als unerlässlich für die Nation eingestuft ist.

Diese Unternehmen müssen ganz besonders sorgfältig die Notwendigkeit von Kurzarbeit rechtfertigen (z.B. zu niedrige Anzahl von Arbeitnehmern aufgrund von Krankmeldungen, Unterbrechung der Lieferkette, etc.)

– Unternehmen ohne Publikumsverkehr und denen das Öffnen nicht verboten ist.

Auch hier muss eine besondere Erklärung vorliegen, sowie eine Erläuterung, warum Telearbeit nicht möglich ist.

Können ausländische Arbeitgeber von französischen Arbeitnehmern die Kurzarbeitsmaßnahmen in Anspruch nehmen?

Ja, insofern die französischen Arbeitnehmer dem französischen Sozialversicherungs- und Arbeitslosenversicherungssystem unterliegen.

Welche Strafen stehen auf Missbrauch von Kurzarbeit?

Arbeitgeber, die die Maßnahmen missbrauchen sollten, müssen nicht nur alle zu Unrecht bezogenen Zahlungen zurückzahlen, es können auch sämtliche öffentliche Hilfen bis zu 5 Jahren gestrichen werden und zuletzt droht eine Gefängnisstrafe bis zu 2 Jahren und 30.000 € Bußgeld.

Nicola Kömpf

COVID-19 im französischen Arbeitsrecht

Die französische Regierung hat keine Zeit verloren!

Sofort im Anschluss an die Verabschiedung des Notstandsgesetzes im Hinblick auf die Covid-19 Epidemie, hat der französische Ministerrat am Mittwoch, den 25. März, nicht weniger als 25 Verordnungen bezüglich Zivil-, Straf- und Verwaltungssachen erlassen, davon drei in Bezug auf das Arbeitsrecht.

Die erste enthält Notmaßnahmen bezügl. bezahltem Urlaub, Arbeitszeiten und Ruhetagen, die zweite passt vorläufig die Entschädigung der krankgeschriebenen Arbeitnehmer sowie die Zahlungsmodalitäten der Gewinnbeteiligungsprämien an, wobei die dritte Ersatzeinkommen betrifft.

Bezahlter Urlaub

Laut der neuen Ausnahmeregelung kann der Arbeitgeber bestimmen, wann die Arbeitnehmer ihren bezahlten Urlaub nehmen müssen, wenn vorab eine entsprechende Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde oder ein Branchen-Tarifvertrag, der dies vorsieht, Anwendung findet.

Wir stehen Ihnen gerne zur Verfügung, um eine solche Vereinbarung aufzusetzen, die es Ihnen erlaubt:

• Daten für bezahlte Urlaubstage (begrenzt auf höchstens sechs Werktage) für Ihre Arbeitnehmer, unter Berücksichtigung einer 24-stündigen Vorfrist, festzulegen oder schon geplanten Urlaub abzuändern,

• Die Aufsplittung der bezahlten Urlaubtage anzuordnen, ohne vorher das Einverständnis des Arbeitnehmers einholen zu müssen ;

• Vorübergehend den gleichzeitigen Urlaubsanspruch von Eheleuten, die in demselben Unternehmen arbeiten, auszusetzen, falls die Anwesenheit einer der Eheleute unabdingbar ist.

Arbeitszeit

Die Verordnung bestimmt diesbezüglich nur, dass eine Liste der Unternehmen « aus Sektoren, die besonders wichtig für die Sicherheit des Landes » und notwendig « für den Fortgang des Wirtschafts- und Sozialbereichs » zeitnah erlassen wird und dass für diese Unternehmen folgende Ausnahmeregelungen gelten bis zum 31. Dezember 2020:

• Die tägliche Arbeitszeit darf auf 12 Stunden maximal erhöht werden;

• Die tägliche Arbeitszeit für Nachtschichten darf auf 12 Stunden maximal erhöht werden, unter der Bedingung, dass eine ensprechende Ruhezeit eingeräumt wird;

• Die tägliche Ruhezeit darf auf 9 Stunden reduziert werden, unter der Voraussetzung, dass eine Ruhezeit eingeräumt wird, die der Ruhezeit entspricht, die der Angestellte dadurch nicht in Anspruch nehmen konnte ;

• Die maximale Wochenarbeitszeit darf auf 60 Stunden erhöht werden;

• Die maximale durchschnittliche Wochenarbeitszeit darf über 12 aufeinanderfolgende Wochen auf 48 Stunden erhöht werden (44 Stunden für Nachtarbeiter);

• Die Sonntagsruhe kann durch einen anderen wöchentlichen Ruhetag ersetzt werden.

Arbeitgeber, die eine oder mehrere dieser Ausnahmeregelungen in Anspruch nehmen müssen umgehend durch jedwedes Mittel den CSE und die Direccte informieren.

Ruhetage

Der Arbeitgeber kann einseitig die Daten, an denen Tage, die der Reduzierung der Arbeitszeit dienen, (RTT) genommen werden müssen, bestimmen oder abändern, ebenso wie Ruhetage, die sich aus Jahrestages- oder Stundenpauschalen ableiten, sowie Ruhetage aus Zeitkonten der Angestellten, bis zu maximal 10 Tagen und unter Berücksichtigung einer 24-stündigen Vorfrist. Diese Möglichkeit gilt nur bis zum 31. Dezember 2020.

Entschädigung der Arbeitnehmer, die aufgrund der Epidemie krankgeschrieben sind

Die Verordnung, die vorübergehend die Entschädigung der Arbeitnehmer, die aufgrund der Epidemie krankgeschrieben sind, anpasst, ist nur eine neue Fassung der Ausnahmeregelungen, die schon durch verschiedene Dekrete im Februar und März 2020 veröffentlicht wurden, vor allem im Hinblick auf die Streichung der Karenztage und der Bedingung der einjährigen Firmenzugehörigkeit für die Differenzzahlung durch den Arbeitgeber.

Diese Verordnung, die ursprünglich bis zum 30. April 2020 vorgesehen war, wurde bis zum 31. August 2020 verlängert.

Gewinn- und Überschussbeteiligung

Diese Beträge werden im Allgemeinen vor dem 1. Tag des sechsten Monats nach Abschluss des Geschäftsjahres gezahlt, d.h. für ein Unternehmen, dessen Geschäftsjahr dem Kalenderjahr entspricht, spätestens am 31. Mai.

Das späteste Datum für die Bezahlung der 2020 im Rahmen der Gewinn- und Überschussbeteiligung zugeteilten Beträge wird auf den 31. Dezember 2020 verschoben.

Arbeitslosenversicherung

Diese Verordnung erlaubt es Arbeitslosen, die zum 12. März 2020 das Ende ihres Arbeitslosengeldanspruchs erreicht haben, weiterhin die Unterstützung des Arbeitsamts zu beziehen, bis zu einem Datum, das durch eine Verordnung festgelegt wird, spätestens jedoch bis zum 31. Juli 2020.

Zu Ihrer Information: die Reform der Arbeitslosenversicherung, die zum 1. April 2020 in Kraft treten sollte, wird auf September 2020 verschoben.

Nicola Kömpf, Partner, Friedrich Niggemann, Of Counsel, Mathilde Gicquel, Angestellte Rechtsanwältin

Flash news aus Frankreich

DEFEKTE LIEFERUNG NACH FRANKREICH KANN ZUR HAFTUNG IM INSOLVENZFALL DES KUNDEN FÜHREN!

In einem Urteil vom 27. November 2019 hat der französische Kassationshof einen Lieferanten verurteilt, die finanziellen Konsequenzen der Insolvenz einer seiner Kunden zu tragen.

Der Lieferant hatte den Kunden mit mangelhaftem Klebstoff beliefert, die zum Rückruf von tausenden von Produkten beim Kunden und fast kompletten Umsatzverlust geführt haben.

Der Kunde hatte auf Schadensersatz gegen den Lieferanten geklagt, der die Mangelhaftigkeit stets zurückgewiesen und somit jede Entschädigung verweigert hat.

Fazit: der Kunde hat Insolvenz anmelden müssen und der Kassationshof hat eine direkte Kausalität zwischen der mangelhaften Ware und der Insolvenz festgestellt, die zu Schadensersatzansprüchen gegen den Lieferanten geführt haben.

Es ist also bei Mängelklagen zu beachten, welche Folgen diese haben können und gegebenenfalls zu versuchen, eine gütliche Einigung einem Gerichtsverfahren vorzuziehen.

JAHRESTAGESPAUSCHALEN ANSTELLE VON STRIKTEN ARBEITSZEITEN – ELDORADO ODER FALLE?

Die sog. „forfaits jours“ (Jahrestagespauschalen, d.h. der Arbeitnehmer arbeitet pauschal 218 Tage/Jahr unabhängig von der Stundenzahl) sind gerade bei ausländischen Arbeitgebern in Frankreich sehr beliebt, da es praktisch unmöglich ist, die genauen Arbeitszeiten der französischen Mitarbeiter auf Distanz zu verfolgen und zu überwachen.

Hier lauern jedoch erhebliche Gefahren. Insbesondere ist es nur zulässig, eine solche Jahrestagespauschale mit Mitarbeitern zu vereinbaren, die frei ihre Arbeitszeit organisieren können und insofern der anwendbare Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung diese Möglichkeit vorsieht.

Darüber hinaus ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Arbeitslast des betroffenen Mitarbeiters zu verfolgen, sowie den notwendigen Ausgleich zwischen Berufs- und Privatleben zu sichern. Mindestens einmal im Jahr muss ein Gespräch mit dem Arbeitnehmer stattfinden und protokolliert werden, etc.

Die entsprechenden Maßnahmen sollten im Tarifvertrag oder in der Betriebsordnung festgelegt sein.

Bitte beachten Sie, dass laut eines Urteils des französischen Kassationshofs vom 19. Dezember 2016, der Arbeitgeber die Beweislast für die Einhaltung der Maßnahmen trägt.

Haben Sie diese Gespräche dieses Jahr schon geführt?

Liegen Ihnen die Tabellen aller gearbeiteten/und nicht gearbeiteten Tage für 2019 vor?

Haben Sie die notwendigen Vorkehrungen getroffen, um Ihren Mitarbeitern eine ausgeglichene Work-Life Balance zu sichern?

Falls nicht, droht die Nichtigkeit der Vereinbarung der Jahrestagespauschale und ein Recht der Vergütung aller Überstunden ab 35 Stunden/Woche mit 2jähriger Verjährungsfrist.

VORSICHT BEI EINVERNEHMLICHEN VERTRAGSBEENDIGUNGEN („RUPTURE CONVENTIONNELLE“) IM FRANZÖSISCHEN ARBEITSRECHT

In jedem Fall ist zu beachten, dass eine „rupture conventionnelle“ nicht einer Aufhebungsvereinbarung eines Arbeitsvertrags nach deutschem Recht entspricht.

Der gesamte Vorgang mit Vorgespräch(en), Vereinbarung, Bedenkzeit (15 Kalendertage), gefolgt von einer Prüfungsfrist durch die Arbeitsaufsichtsbehörde (15 Werktage) ist sehr formell gestaltet und die Vereinbarung kann nur die Konsequenzen der Vertragsbeendigung (inkl. Entschädigung wegen Vertragsbeendigung) regeln, jedoch nicht alle weiteren Ansprüche ausschließen.

In einem Urteil vom 23. Januar 2020 hat der französische Kassationshof außerdem bestätigt, dass eine „rupture conventionnelle“ mit einem Arbeitnehmer, der von Mobbing betroffen und dadurch psychisch angeschlagen ist, durchaus für nichtig erklärt werden kann, wenn das Einverständnis des Arbeitnehmers dadurch beeinträchtig war.

Eine einvernehmliche Vertragsbeendigung mit einem französischen Arbeitnehmer ist daher immer vorsorglich gegen eine mögliche Kündigung, gefolgt von einem Vergleich, abzuwägen, denn Rechtssicherheit besteht bei „rupture conventionnelle“ nicht unbedingt.

BRAUCHT IHRE FRANZÖSISCHE TOCHTERGESELLSCHAFT (SAS – VEREINFACHTE AKTIENGESELLSCHAFT) IHREN ABSCHLUSSPRÜFER (COMMISSAIRE AUX COMPTES) NOCH?

Im Rahmen des PACTE Gesetzes vom 22. Mai 2019 werden die Schwellenwerte und Voraussetzungen für die zwingende Ernennung eines Abschlussprüfers erheblich erleichtert, um es Kleinst- und kleineren Firmen zu ermöglichen, Kosten zu sparen.

Handelt es sich um eine Tochtergesellschaft in Form einer SAS, deren Stammkapital zu mehr als 50% von der Muttergesellschaft gehalten wird, ist die Ernennung/Verlängerung des Mandats des Abschlussprüfers nicht mehr zwingend, wenn der Bilanzbetrag unter 2 Mio € liegt oder der Jahresumsatz weniger als 4 Mio € beträgt und die Firma weniger als 25 Angestellte beschäftigt.

Diese Bedingungen sind kumulativ, d.h. auch, wenn der Umsatz 4 Mio € übersteigt, die Arbeitnehmerzahl jedoch unter 25 liegt, ist die Ernennung des Abschlussprüfers nicht mehr zwingend.

Ein laufendes Mandat (6 Jahre nach französischem Recht) muss jedoch beendet werden, es sei denn, man einigt sich mit dem Abschlussprüfer auf einen reduzierten Auftrag.

Bei Gesellschaftsgründungen und anderen Gesellschaftsformen als „SAS“ gelten gegebenenfalls andere Schwellenwerte und Voraussetzungen.

EINSCHLÄGIGE ÄNDERUNGEN IM FRANZÖSISCHEN ZIVILPROZESSRECHT

Ab dem 01.01.2020 ist in Frankreich eine sehr weitreichende Zivilprozessrechtsreform in Kraft getreten.

Wesentliche Teile dieser Reform sind:

– Zusammenlegung der Amts- und Landgerichte (Tribunaux d’Instance et de Grande Instance), um ein erstinstanzliches „Tribunal Judiciaire“ zu gründen.

– Einführung der Anwaltspflicht bei einem Streitwert von mehr als 10.000 € vor dem „Tribunal judiciaire“, auch im Eilverfahren. Gleiches gilt für Verfahren vor dem Handelsgericht (Tribunal de Commerce), was eine Revolution im französischen Gerichtsbild darstellt.

– Einführung einer Verfahrensvariante ohne Verhandlungstermin im Einverständnis der Parteien.

– Ab jetzt sind erstinstanzliche Urteile grundsätzlich vorläufig vollstreckbar, was bislang nur auf Antrag möglich war, dem selten stattgegeben wurde.

Verfahrensstrategien sind zukünftig zu überdenken und den neuen Grundlagen anzupassen.

SEIT DEM 01.01.2020 GIBT ES KEINE BETRIEBSRÄTE (COMITÉ D’ENTREPRISE) MEHR – HAT IHRE FRANZÖSISCHE TOCHTERGESELLSCHAFT DEN NEUEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS (COMITÉ ÉCONOMIQUE ET SOCIAL – CSE) EINGERICHTET?

Laut der französischen Presse hat jede zweite Firma mit mehr als 10 Angestellten den neuen „CSE“ noch nicht eingerichtet, obwohl dies in allen französischen Unternehmen mit mehr als 10 Arbeitnehmern seit dem 01.01.2020 Pflicht ist.

Dieser CSE fasst die früheren Instanzen des Personalvertreters, Betriebsrats und des Hygiene- und Sicherheitsrats in einem Organ zusammen.

Die Konsequenzen eines fehlenden CSE, sind insbesondere:

– Der Arbeitgeber kann wegen eines Hinderungsdelikts (délit d’entrave) angezeigt werden (Art. L.2312-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs), das mit einer Gefängnisstrafe von max. 1 Jahr und einem Bußgeld von 7.500 € geahndet wird.

– Die Mandate der früheren Personalvertreter sind automatisch am 31.12.2019 um Mitternacht erloschen.

– Es gibt folglich keine Instanz mehr, die ordnungsgemäß informiert und konsultiert werden kann, was wiederum zu Schadenersatzansprüchen führen kann.

Die führenden Gewerkschaften haben einen Aufschub beim Ministerium für Arbeit gefordert, bislang ohne Erfolg.

Es ist daher dringend ratsam, umgehend das Verfahren zur Bildung eines CSE in jedem französischen Unternehmen mit mehr als 11 Arbeitnehmern einzuleiten.

Nicola Kömpf, Partner, Friedrich Niggemann, Of Counsel, Mathilde Gicquel, Angestellte Rechtsanwältin

Lexpress German Desk – Endlich ist es soweit, Frankreichs Arbeitsrecht wurde grundlegend reformiert

Das deutsch-französische Team von Alerion veröffentlicht eine neue Flash Info bezüglich der dem französischen Arbeitsrecht reformierenden Rechtsverordnungen, welche am 23. September 2017 verkündet wurden.

SEPT Pflichten des ausländischen Unternehmens bei Entsendung von Arbeitnehmern nach Frankreich

Alerion veröffentlicht eine Flash Info.

Das deutsch-französische Team von Alerion veröffentlicht eine neue Flash Info bezüglich des Internationales Arbeitsrechts : „Pflichten des ausländischen Unternehmens bei Entsendung von Arbeitnehmern nach Frankreich“.