VIDEO Teil 4 | Ideen zum Thema : Wie kann ich den deutschen Markt erobern ?

Wirtschaftsrecht: Mit Alerion über die Zukunft sprechen.

Das Wirtschaftsrecht ist einem ständigen Wandel unterworfen. Die wirtschaftlichen Zwänge erfordern eine stetige und immer schnellere Anpassung. Steuern, Vermögen, Gesellschaftsrecht, Wettbewerbsrecht, geistiges Eigentum, Arbeitsrecht…

In Form einer Reihe von Videointerviews (in Französich mit englischen Untertiteln) teilen die Anwälte der Kanzlei Alerion avocats ihre praktischen Analysen mit Ihnen.

Nicola KÖMPF, Partnerin und Leiterin des German Desk bei Alerion avocats in Paris, teilt in diesem Video mit Ihnen Ihre Erfahrung und Ideen, wie Sie den deutschen Markt mithilfe einfacher, aber hochqualifizierter,  Ratschläge  erobern können. Ob Sie eine Zusammenarbeit mit einem deutschen Handelsvertreter planen, ein Unternehmen in Deutschland gründen oder einfach nur das deutsche Arbeitsrecht verstehen wollen, dieses Video enthält nützliche Ratschläge und bietet Ihnen klare Perspektiven.

Wenn Sie mehr wissen möchten, steht Ihnen unser Expertenteam des German Desk gerne zur Verfügung.

Video erstellt von @uplawder8337

News aus dem französischen Arbeitsrecht

Der frz. Kassationshof hat kürzlich einige Punkte klargestellt, die für deutsche Unternehmen, die Arbeitnehmer in Frankreich beschäftigen, von erheblicher Bedeutung sind

  • Der Betriebsleiter eines deutschen Unternehmens kann ggfs. einen Arbeitnehmer eines anderen Konzernunternehmens in Frankreich entlassen

Die Durchführung eines Kündigungsverfahrens fällt grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführung des Unternehmens, das den betreffenden Arbeitnehmer beschäftigt.

Die Geschäftsführung kann diese Befugnis jedoch an einen anderen Mitarbeiter des Unternehmens delegieren, der in die Personalverwaltung eingebunden ist (z. B. den Personalleiter (Cass. Ch. Mixte 19.11.2010 Nr. 10-10.095) oder den Finanzdirektor (Cass. Soc. 18.11.2003 Nr. 01-43.608), nicht jedoch an eine Person, die nicht zum Unternehmen gehört (Cass. Soc. 20.10.2021 Nr. 20-11.485).

Die neuste Rechtsprechung hat den Begriff „fremde Person“ in Unternehmensgruppen genauer definiert und entschieden (Cass. Soc. 28.06.2021 Nr. 21-18.142), dass ein Generaldirektor einer Muttergesellschaft unter bestimmten Bedingungen einen Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft, deren Aktivitäten er beaufsichtigt, entlassen kann (Cass. Soc. 13.06.2018 Nr. 16-23.701), ebenso wie der Geschäftsführer eines anderen Unternehmens des Konzerns, der vom Geschäftsführer des Arbeitgeberunternehmens beauftragt wurde, insbesondere die Geschäftsabläufe und die Personalverwaltung der Tochtergesellschaft zu leiten (Cass. Soc. 28.06.2021 Nr. 21-18.142).

Die Personalleiterin einer Konzerntochter kann jedoch einen Arbeitnehmer einer anderen Konzerntochter nicht kündigen, wenn nicht nachgewiesen wird, dass sie in dieser anderen Tochtergesellschaft Direktionsbefugnisse innehatte (Cass. Soc. 20.10.2021 Nr. 20-11.485).

Da die fehlende Vertretungsmacht bis zur Nichtigkeit der Kündigung reichen kann, empfiehlt es sich, die Vertretungsbefugnisse sorgfältig zu prüfen, bevor ein Kündigungsverfahren in einer Tochtergesellschaft in Frankreich eingeleitet wird.

  • Kann man sich gegenüber einem frz. Arbeitnehmer, innerhalb eines internationalen Konzerns, auf einen Incentive-/Bonusplan berufen, der in Englisch verfasst ist?

In vielen internationalen Unternehmensgruppen ist die gemeinsame Sprache Englisch. Insbesondere Incentiv-/Bonuspläne werden für alle Arbeitnehmer, auch für die, die bei einer frz. Tochtergesellschaft beschäftigt sind, einheitlich in Englisch verfasst. Gemäß Artikel L.1321-6 des Arbeitsgesetzbuchs muss jedes Dokument, das Verpflichtungen für den Arbeitnehmer enthält, die für die Ausführung seiner Arbeit erforderlich sind, in französischer Sprache verfasst sein, mit Ausnahme von Dokumenten, die aus dem Ausland stammen. Die Festlegung von Zielen eines Arbeitnehmers in Frankreich muss daher zwangsläufig aus einem in französischer Sprache verfassten Dokument hervorgehen, auch wenn die Tätigkeit des Unternehmens internationalen Charakter hat (Cass. Com. Soc. 03.05.2018 Nr. 16-13.736).

Die aktuelle Frage war (Cass. Soc. 07.06.2023), ob ein von der amerikanischen Muttergesellschaft in Englisch verfasster Bonusplan einem französischen Arbeitnehmer entgegengesetzt werden kann, oder ob ihm mangels eines Dokuments in Französisch der volle Bonus zusteht. Der frz. Kassationshof war der Ansicht, dass zur Beantwortung dieser Frage vorab festgestellt werden müsse, ob dieses Dokument aus dem Ausland stammt oder nicht. Daraus lässt sich ableiten, dass ein Dokument, das direkt aus dem Ausland an den französischen Arbeitnehmer gerichtet ist, diesem gegebenenfalls entgegengehalten werden könnte, auch wenn es in Englisch verfasst ist. Wir raten daher dringend, alle für französische Arbeitnehmer bestimmte Dokumente in Französisch zu verfassen/übersetzen zu lassen, da sonst die Gefahr besteht, jeweils den vollen Betrag zahlen zu müssen.

Für Fragen im frz. Arbeits-/Handels-/und Gesellschaftsrecht steht Ihnen unser German desk jederzeit zur Verfügung.

Nicola Kömpf, Avocat/Rechtsanwältin, Partner

Nicola Kömpf hat einen Artikel  zum Thema „Frankreich verschärft Schutz der Landwirte im Handelsrecht ( frz. EGalim -Gesetze)“ in der Lebensmittel Zeitung veröffentlicht.

Nicola Kömpf, Avocat, zugelassen in Paris und Rechtsanwältin, zugelassen in Berlin, Partnerin und Head of German Desk der Kanzlei Alerion avocats in Paris, hat am 1. September 2023 einen Artikel  zum Thema „ „Frankreich verschärft Schutz der Landwirte im Handelsrecht ( frz. EGalim -Gesetze)“ in der Lebensmittel Zeitung veröffentlicht.

Internationale Mobilität – arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Problemstellungen aus der Praxis

Zum Trendthema „Internationale Mobilität – arbeitsrechtliche und steuerrechtliche Problemstellungen aus der Praxis“ hat Frau RAin Nicola Kömpf, Partnerin bei Alerion Avocats und Leiterin des German Desk, gestern gemeinsam mit Kollegen der Kanzleien BMH, GVV und CMS im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung des Rechts- und Steuerausschusses der AHK Paris, vorgetragen.

Anhand eines praktischen Falls wurden verschiedene Themen rund um die Einstellung eines Arbeitnehmers durch eine deutsche Firma ohne Sitz in Frankreich erörtert.

Der nächste Vortrag mit Fokus auf die Entsendung von Mitarbeitern findet am 12. Juni 2023 um 18h30 statt.

Melden Sie sich gerne bei kdreux@francoallemand.com an.

Nicht nur die umstrittene Rentenreform sorgt für interessante News aus Frankreich

I. Neuigkeiten aus dem französischen Arbeitsrecht

  1. Erleichterungen bei der Entsendung von Mitarbeitern nach Frankreich

Per Dekret vom 17. März 2023 wurde Art. R.1263-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs dahingehend geändert, dass kein Dokument mehr am Ort der Ausübung der Arbeit in Frankreich vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden muss, aus dem sich das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht ergibt, noch aus dem man die Anzahl der abgeschlossenen Verträge und der dazugehörigen Umsätze im Ursprungsland und in Frankreich entnehmen kann.

  1. Die Strecke von zu Hause bis zur Arbeit kann bei Außendienstmitarbeitern als effektive Arbeitszeit gewertet werden

Im französischen Recht ist die effektive Arbeitszeit als diejenige definiert, während der der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und nicht seinen persönlichen Beschäftigungen nachgehen kann (Art. L.3121-1 französisches Arbeitsgesetzbuch), wobei sich aus Art. L.3121-4 des französischen Arbeitsgesetzbuchs ergibt, dass die Fahrzeit zwischen dem Domizil und dem Arbeitsplatz keine effektive Arbeitszeit ist.

Der französische Kassationshof hatte diese Interpretation auf die Fahrzeit von Außendienstmitarbeitern zwischen deren Domizil und dem ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück ausgedehnt.

Mit einem Urteil vom 1. März 2023 hat der französische Kassationshof seine Rechtsprechung geändert.

Die obengenannten Fahrzeiten von Außendienstmitarbeitern können als Überstunden gewertet werden, wenn der Mitarbeiter während dieser Zeit zur Verfügung des Arbeitgebers stand. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Fahrtenkalender im Voraus mit dem Vorgesetzten des Außendienstmitarbeiters abgestimmt wird und dieser während der Fahrzeit Anrufe wegen Eileinsätzen entgegennehmen muss.

Bei der Gestaltung der Arbeitsverträge von Außendienstmitarbeitern ist folglich Vorsicht geboten, um spätere Überstundenforderungen zu vermeiden.

  1. Es lebe der Sport !

Geschenke (Eintrittskarten, Transport, Unterkunft…), die Betriebsräte oder Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern für die Rugby-Weltmeisterschaft 2023 oder die Olympischen Sommerspiele 2024 (beide in Frankreich) machen, sind bis zu 25 % der monatlichen Obergrenze für die Sozialversicherung (d. h. 917 € im Jahr 2023) pro Kalenderjahr und Arbeitnehmer von Sozialversicherungsbeiträgen befreit.

  1. Achtung: auch bei Arbeitnehmern mit Jahrestagespauschelen („forfaits jours“) muss der Arbeitgeber die Arbeitszeiten im Auge behalten

Insbesondere Ruhezeiten müssen beachtet werden (der Arbeitgeber muss hier Videokonferenzen mit Zeitverschiebung und im Allgemeinen Sitzungen, an denen der Arbeitnehmer teilnimmt, in die Arbeitszeit miteinbeziehen, auch wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit weitgehend autonom gestalten kann (siehe frz. Kassationshof – 22. Februar 2022).

II. Neuigkeiten aus dem französischen Wirtschaftsrecht

  1. Geschenke an Kunden, um Gewinne und Marktanteile zu steigern, sind verboten

Im Rahmen ihrer Ermittlungsbefugnis hatte die französische Generaldirektion für Wettbewerb, Verbraucherschutz und Betrugsbekämpfung (DGCCRF) zwischen 2015 und 2021 in ganz Frankreich illegale Praktiken eines Pharmakonzerns aufgedeckt. Der pharmazeutische Hersteller bot Apothekern Geschenke u. a. als Gegenleistung für den Kauf von Produkten seiner Marken an und verstieß damit gegen die Bestimmungen des französischen Gesundheitsgesetzes. Diese Geschäftsstrategie hatte es dem Konzern ermöglicht, seine Gewinne und Marktanteile erheblich zu steigern.

Neben der Einziehung von mehr als 5,4 Millionen Euro, die strafrechtlich beschlagnahmt wurden, wurden gegen den Konzern im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens mit vorheriger Schuldanerkennung, Geldbußen in Höhe von insgesamt 1.125 Millionen Euro verhängt.

  1. Reorganisation des französischen Handelsregisters und Veröffentlichung von Jahresabschlüssen

Seit der großen Reorganisation der französischen Handelsregister am 1. Januar 2023 erfolgt die Einreichung von Jahresabschlüssen entweder elektronisch über die Plattform namens „Guichet Unique“ (d.h. dem „Elektronischen Ansprechpartner für alle Registeranmeldungen insbesondere im Gesellschaftsrecht“) oder in Papierform bei dem jeweiligen Handelsgericht. Die Inbetriebnahme des „Guichet Unique“ hat jedoch einen chaotischen Start erfahren und hat die Anmeldungen einige Wochen erheblich eingeschränkt.

Das Verfahren zur Veröffentlichung von Jahresabschlüssen auf elektronischem Wege bereitet weiterhin Probleme, so dass wir dringend empfehlen, in diesem Jahr Unterlagen in Papierform einzureichen.

Während einige Geschäftsstellen elektronisch unterzeichnete Unterlagen akzeptieren, verlangen andere immer noch handschriftlich unterzeichnete Originale, so dass wir dringend empfehlen, die handschriftliche Unterzeichnung in der erforderlichen Anzahl von Exemplaren vorzunehmen, um Schwierigkeiten bei der Hinterlegung der Jahresabschlüsse zu vermeiden.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass dieses Jahr die Ausnahmeregelungen der Covid-19-Krise ausgelaufen sind und somit Gesellschafterversammlungen in frz. „SAS“ (frz. vereinfachte Aktiengesellschaft) auf elektronischem Wege nur noch möglich sind, wenn dies in der Satzung vorgesehen ist. 

Unser German Desk steht Ihnen jederzeit für Rückfragen oder weitere Auskünfte im Gesellschafts-, Handels-, Arbeits- und Insolvenzrecht zur Verfügung.

Nicola Kömpf, Partner und Mathilde Gicquel, angestellte Rechtsanwältin.

Große Reorganisation bei den frz. Handelsregistern: Planen Sie längere Fristen für Ihre Anmeldungen/Hinterlegungen ein!

Seit dem 1. Januar 2023 müssen in Frankreich alle gesellschaftsrechtlichen Anmeldungen/Hinterlegungen zwingend über eine einzige Website erfolgen, dem sog. „Guichet Unique“ (d.h. dem „Elektronischen Ansprechpartner für alle Registeranmeldungen insbesondere im Gesellschaftsrecht“).

Leider sind die Nutzung und Umsetzung der neuen Website chaotisch: Die Website ist oft unzugänglich, hat große technische Probleme, manche Formalitäten sind gar nicht möglich, andere bleiben tagelang blockiert, die Hotline ist hoffnungslos überlastet, usw..

Man muss daher in den nächsten Wochen, ggfs. Monaten, unbedingt längere Fristen für die Erledigung von Anmeldungen/Hinterlegungen einplanen und die Anträge frühzeitig stellen, um die gesetzlichen Fristen einzuhalten.

Dies wird insbesondere bei der Veröffentlichung der Jahresabschlüsse 2022 zu berücksichtigen sein, die innerhalb von sechs Monaten nach Abschluss des Geschäftsjahres erfolgen muss.

Unser German Desk steht Ihnen bei Fragen zu diesen Themen sowie im Allgemeinen zu gesellschaftsrechtlichen und arbeitsrechtlichen Themen, gerne zur Verfügung.

Nicola Kömpf, Avocat au Barreau de Paris und Rechtsanwältin, Berlin, und Mathilde Gicquel, Avocat au Barreau de Paris.

„Ein Schritt des Gesetzgebers in Richtung Arbeitgeber, wenn ein Arbeitnehmer nicht zur Arbeit erscheint, und drei Schritte rückwärts in der Rechtsprechung, was Überstunden bei Reisezeiten von Außendienstmitarbeitern betrifft“

Gleichzeitig mit der Einführung eines neuen Artikels im frz. Arbeitsgesetzbuch („Code du travail“), der die etablierte und sehr arbeitnehmerfreundliche Rechtsprechung für Arbeitnehmer, die einfach nicht mehr an ihrem Arbeitsplatz erscheinen, in Frage stellt (1), hat die „Cour de cassation“ (frz. BGH) eine komplette Kehrtwende gemacht, was die Qualifikation von Reisezeiten von Außendienstmitarbeitern betrifft (2).

1) Die neue Rücktrittsvermutung

In einem neuen Gesetz über „Sofortmaßnahmen im frz. Arbeitsmarkt in Hinsicht auf Vollbeschäftigung“, das am 17. November 2022 vom frz. Senat verabschiedet wurde und vom „Conseil constitutionnel“[1] (d.h. Verfassungsrat) am 15. Dezember 2022 für verfassungskonform befunden wurde, hat der frz. Gesetzgeber die bisherige Rechtsprechung der  „Cour de cassation“, wonach der Rücktritt eines Arbeitnehmers nicht vermutet werden kann, wenn er unentschuldigt nicht mehr an seinem Arbeitsplatz erscheint[2], komplett umgekehrt.

Bislang konnte ein Arbeitgeber die unbegründeten Abwesenheiten eines Arbeitnehmers nicht als arbeitnehmerseitige Kündigung/Rücktritt werten. Er konnte den Arbeitnehmer lediglich abmahnen, die Arbeit wieder aufzunehmen und seine Abwesenheit zu begründen. Erst nach Ermangelung einer befriedigenden Antwort, konnte der Arbeitgeber ein Disziplinarverfahren / Kündigungsverfahren einleiten.

Viele Arbeitnehmer haben in der Vergangenheit diese Situation genutzt, um Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend machen zu können, da das Ende des Arbeitsverhältnisses auf einer arbeitgeberseitigen Kündigung beruhte. Da das Nichterscheinen am Arbeitsplatz in vielen Unternehmen „zu erheblichen Störungen geführt hat, die sich sowohl negativ auf den Arbeitgeber als auch auf die anderen Arbeitnehmer ausgewirkt haben, die mit der unvorhergesehenen und unbegründeten Abwesenheit einer ihrer Kollegen/Kolleginnen zurechtkommen mussten[3], hat der frz. Gesetzgeber einen neuen Artikel L1237-1-1 in den frz. „Code du travail“ eingeführt, der wie folgt lautet:

Von einem Arbeitnehmer, der seinen Arbeitsplatz freiwillig aufgibt und nicht zur Arbeit erscheint, nachdem er per Einschreiben mit Rückschein oder gegen Empfangsbestätigung aufgefordert wurde, sein Nichterscheinen zu begründen und seine Arbeit innerhalb einer vom Arbeitgeber gesetzten Frist wieder aufzunehmen, wird vermutet, dass er mit Ablauf dieser Frist gekündigt hat.

Ein Arbeitnehmer, der die Kündigung seines Arbeitsvertrags auf Basis dieser Vermutung anfechtet, kann beim Arbeitsgericht Klage gegen die Kündigung erheben. Die Angelegenheit wird direkt vor das Entscheidungsgremium gebracht, das über die Art der Kündigung und die damit verbundenen Folgen entscheidet. Das Gericht entscheidet innerhalb eines Monats.

Die in Absatz 1 vorgesehene Frist darf eine Mindestfrist nicht unterschreiten, die durch eine Verordnung des frz. „Conseil d’Etat“ (d.h. Staatsrates) festgelegt wird. Diese Verordnung setzt die Anwendungsmodalitäten des vorliegenden Artikels fest.“

Der Vorteil dieser neuen Bestimmung wird vor allem darin liegen, dass der Arbeitgeber schnell Klarheit schaffen und die Stelle neu besetzen kann, ohne ein ganzes formlastiges Kündigungsverfahren nach frz. Recht durchführen zu müssen.

Der Arbeitnehmer kann diese Rücktrittsvermutung jedoch in einem Sonderverfahren vor dem Gericht anfechten und versuchen sie zu widerlegen, mit der Behauptung er sei gezwungen oder berechtigt gewesen, seinen Arbeitsplatz zu verlassen (z. B. aufgrund der Ausübung seines Streikrechts, seines Rückzugsrechts oder seines Gesundheitszustands[4]).

Die Frage stellt sich dann, ob die Widerlegung der Vermutung als eine ungerechtfertigte Kündigung bewertet würde, mit einem Schadensersatzanspruch zugunsten des Arbeitnehmers, oder ob diese ein Wiedereinstellungsrecht begründen würde.

Grundsätzlich kann ein Arbeitnehmer, dem gekündigt wurde nach frz. Recht zwar ein Wiedereinstellungsrecht geltend machen, das Gericht kann diesem Antrag jedoch nur stattgeben, wenn kein Grund vorliegt, der die Fortführung des Vertrags unmöglich macht, worunter die Behauptung des Arbeitgebers fällt, er könnte mit diesem Arbeitnehmer nicht mehr arbeiten. Diese Unmöglichkeit endet dann mit einem Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers.

Nicht nur diese Frage, sondern auch andere Themen hat der neue Gesetzesentwurf unbeantwortet gelassen, wie z. B. die Mindestdauer der Abwesenheit vor einer Mahnung.

Nun muss man nur noch die Veröffentlichung des Gesetzes im „Journal Officiel“ (d.h. Amtsblatt) abwarten, damit das Gesetz in Kraft treten kann. Außerdem sollte man auf die zukünftige Anwendungsverordnung des „Conseil d’Etat“ achten.

2) Reisezeit von Außendienstmitarbeitern: Achtung Überstunden!

Laut einem Urteil vom 23. November 2022[5] der „Cour de cassation“ werden fortan Reisezeiten von Außendienstmitarbeitern zwischen ihrem Wohnort und den Standorten des ersten und des letzten Kunden, die an einem Tag besucht werden, als „effektive Arbeitszeit“ gewertet und sind als solche zu vergüten. Bisher war die frz. „Cour de cassation“ der Ansicht, dass die Reisezeit des im Außendienst tätigen Arbeitnehmers keine Arbeitszeit ist, insbesondere gemäß Artikel L3121-4 des frz. „Code du travail“[6], und nur durch Ruhezeit oder finanzielle Entschädigung ausgeglichen[7] werden muss.

Obwohl diese neue Auslegung der frz. „Cour de cassation“ angesichts des Einflusses des europäischen Rechts, insbesondere der Richtlinie 2003/88/EG und ihrer Rechtsprechung erwartet wurde, wird diese sehr wahrscheinlich zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten über die Anerkennung von Reisezeiten als Arbeitszeit und die entsprechende Vergütung von Überstunden führen.

Arbeitgeber werden zukünftig die Reisezeiten ihrer Außendienstmitarbeiter noch sorgfältiger überwachen müssen, insbesondere wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber während dieser Zeiten zur Verfügung steht und sich an seine Anweisungen halten muss, ohne frei seinen persönlichen Beschäftigungen nachgehen zu können[8].

Wenn die Fahrtzeit jedoch keine effektive Arbeitszeit i. S. d. Artikels L3121-4 des frz. „Code du travail“ darstellt, hat der Arbeitnehmer nur Anspruch auf den in Artikel L3121-4 des frz. „Code du travail“ vorgesehenen Ausgleich (d.h. durch Ruhezeit oder finanzielle Entschädigung), wenn er die Voraussetzungen dafür erfüllt.

Unser German Desk steht Ihnen bei Fragen zu diesen Themen sowie im Allgemeinen zu arbeits- oder gesellschaftsrechtlichen Themen, gerne zur Verfügung.

Nicola Kömpf, Avocat au Barreau de Paris und Rechtsanwältin, Berlin, und Mathilde Gicquel, Avocat au Barreau de Paris.

[1] Urteil des „Conseil constitutionnel“ vom 15. Dezember 2022 Nr. 2022-844 DC hier klicken https://www.conseil-constitutionnel.fr/sites/default/files/as/root/bank_mm/decisions/2022844dc/2022844dc.pdf

[2] Siehe: Urteile der „Chambre sociale de la Cour de cassation“ (d.h. Sozialkammer des frz. BGH) vom 24. März 1998, n°96-40.805 und vom 10. Juli 2022 n°00-45566.

[3] Bericht des französischen Senats vom 19. Oktober 2022, S. 30 (von F. PUISSAT und O. HENNO), hier klicken http://www.senat.fr/rap/l22-061/l22-0611.pdf

[4] Bericht des französischen Senats vom 19. Oktober 2022, S. 29 (von F. PUISSAT und O. HENNO), hier klicken http://www.senat.fr/rap/l22-061/l22-0611.pdf

[5] Urteil der „Chambre sociale de la Cour de cassation“ (d.h. Sozialkammer des frz. BGH) vom 23. November 2022, Nr. 20-21.924, hier klicken: https://www.courdecassation.fr/decision/637dcb6714982305d4c204de 

[6] Artikel L3121-4 des französischen „Code du travail“ (d.h. frz. Arbeitsgesetzbuch): „Die Reisezeit, um sich zum Ort der Erfüllung des Arbeitsvertrags zu begeben, ist keine effektive Arbeitszeit.

Übersteigt diese Zeit jedoch die normale Fahrtzeit zwischen dem Wohnort und dem üblichen Arbeitsort, so ist eine Gegenleistung entweder in Form von Ruhepausen oder in finanzieller Form zu gewähren. Der Zeitanteil dieser beruflichen Fahrzeit, der mit der Arbeitszeit zusammenfällt, führt zu keinem Lohnverlust.“

[7] Siehe: Urteile der „Chambre sociale de la Cour de cassation“ (d.h. Sozialkammer des frz. BGH) vom 14. November 2012, Nr. 11-18.571 und vom 30. Mai 2018, Nr. 16-20.634.

[8] Artikel L3121-1 des französischen „Code du travail“ (d.h. frz. Arbeitsgesetzbuch)

Zwingende Mitarbeitergespräche nach französischem Recht oder was viele ausländische Arbeitgeber nicht wissen!

UPDATE : Das frz. Arbeitsministerium hat kurzfristig entschieden, die Fristen für die „entretiens professionnels“ (Mitarbeitergespräche) bis zum 30. September, statt nur bis zum 30. Juni, zu verlängern.

Achtung, vor dem 30. September 2021 müssen die „entretiens professionnels“ (Mitarbeitergespräche bezüglich der beruflichen Situation sowie Perspektiven und Fortbildung) durchgeführt werden.

In Deutschland werden Mitarbeitergespräche als Maßnahmen der Personalführung eingesetzt und erfolgen in verschiedenen Zeitintervallen, die meistens vom Arbeitgeber vorgegeben werden.

In Frankreich gibt es strenge gesetzliche Vorgaben, in welchen Intervallen welche Art von Gespräch mit den Arbeitnehmern durchgeführt werden muss. Gegebenenfalls können Tarifverträge oder Betriebsordnungen jeweils kürzere Zeitperioden vorsehen.

Neben verschiedenen anderen Mitarbeitergesprächen (z.B. für Mitarbeiter mit Jahrestagespauschale („forfait jours“) oder Telearbeiter) gibt es zwei Hauptarten von Mitarbeitergesprächen, einerseits die sog. „entretiens professionnels“, die Thema dieses Newsletters sind, und die sog. „entretiens d’évaluation“, d.h. die Jahresgespräche, wo Arbeit und Leistung im vergangenen Jahr und Ziele und Entwicklung für die Zukunft thematisiert werden.

Letztere sind nicht zwingend, es sei denn, der anwendbare Tarifvertrag oder die Betriebsordnung sehen etwas Gegenteiliges vor. Sie sind jedoch üblich und tragen positiv zur Personalentwicklung bei.

Die „entretiens professionnels“ sind in Art. L.6315-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs verankert und haben seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2014 an Wichtigkeit gewonnen.

Hier ist zu unterscheiden zwischen regelmäßigen „entretiens professionnels“ alle zwei und alle sechs Jahre und den Gesprächen, die nach einer längeren Abwesenheit (Mutterschutz, Elternurlaub, Langzeitkrankheit, etc.) eines Mitarbeiters geführt werden müssen.

Letztere müssen vom Arbeitgeber angeboten werden, der Arbeitnehmer kann diese jedoch wahrnehmen oder nicht.

Die anderen regelmäßigen „entretiens professionnels“ sind für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite grundsätzlich Pflicht.

Aufgrund der sanitären Krise wurde die Frist für alle Gespräche („entretiens professionnels 2 ans/6 ans“), die zwischen Januar 2020 und Juni 2021 hätten stattfinden müssen, bis zum 30. September 2021 verlängert.

Arbeitgeber müssen sich daher nun schnell organisieren, um diese Gespräche vor oder nach den Sommerferien umzusetzen.

Inhalt der Gespräche alle 2 Jahre müssen die berufliche Situation/Ausbildung des Arbeitnehmers in Bezug auf seinen Arbeitsplatz sein, sowie eine ausführliche Belehrung zu seinen Rechten auf Fortbildung, während und außerhalb der Arbeitszeit, die Möglichkeit, qualifizierende Diplome durch Arbeit zu erwerben, als auch ein Vorschlag, wie die berufliche Karriere weiterentwickelt werden könnte, etc.

Die Gespräche alle 6 Jahre unterliegen strengeren Vorschriften, insbesondre muss nachgewiesen werden, dass Fortbildungen, sowohl zwingende als auch mindestens eine nicht zwingende, durchgeführt wurden.

Von diesen Gesprächen ist ein Protokoll zu erstellen, das vom Arbeitgeber und Mitarbeiter zu unterzeichnen ist.

Auch wenn Sanktionen bei Nicht-Einhaltung dieser Gesprächspflichten, nur für Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern, ausdrücklich vom französischen Gesetzgeber erlassen wurden, werden diese Themen meistens von den Betriebsräten („Comité social et économique“ ab 11 Arbeitnehmern) oder im Rahmen der Anfechtung von Kündigungen aufgegriffen.

Sollten Sie Fragen zu diesen Themen haben, steht unser German Desk gerne zu Ihrer Verfügung.

Nicola Kömpf, Partner, Friedrich Niggemann, Of counsel und Mathilde Gicquel, Angestellte Rechtsanwältin.

Coronabedingte Insolvenzwelle in Frankreich?

Pandemiebedingte Finanzierungsengpässe bestehen derzeit bei mehr als 50% der französischen Unternehmen, jedoch nicht überall im gleichen Ausmaß.

Einerseits hat die Nutzung staatlicher Hilfsmaßnahmen die erwartete Pleitewelle bislang im Zaum gehalten und andererseits, haben zahlreiche Unternehmen die Corona-Ausnahmeregeln genutzt, um sich frühzeitig unter den Schutzschirm des Handelsgerichts zu stellen.

Frankreich hat nämlich anders als Deutschland, kein Insolvenzaussetzungsgesetz erlassen, sondern Ausnahmebestimmungen umgesetzt, um die Eröffnung von Insolvenzvorverfahren zu beschleunigen.

Ab Frühjahr 2021 wird dennoch mit einer massiven Insolvenzwelle in Frankreich gerechnet, insbesondere in der Event- und Restaurationsbranche, aber auch bei Zulieferern der Automobilbranche und im Tourismussektor.

Damit Sie als Unternehmer oder Berater den anderen einen Schritt voraus sind, haben wir hiernach zuerst die wichtigsten, normalerweise im französischen Insolvenzrecht geltenden Regeln kurz dargestellt, um dann die derzeitigen Ausnahmeregelungen zu erläutern.

A. Französisches Insolvenzrecht kurzgefasst

1. Verfahrensarten

Tabellarisch hiernach eine kurze Einführung in das französische Insolvenzrecht, das schon seit 1985 insbesondere auf die Fortführung der Geschäftsstätigkeit und die Erhaltung von Arbeitsplätzen abzielt, mehr als auf Gläubigerbefriedigung.

Aus diesem Grund gibt es eine Reihe von sogenannten „Vorverfahren“, die vor Zahlungsunfähigkeit und befristet danach möglich sind (Ad hoc Verwalter, Schlichtung, Rettungsverfahren).

Der zentrale Begriff des französischen Insolvenzverfahrens liegt in der Zahlungsunfähigkeit („cessation des paiements“), einziger Insolvenztatbestand nach französischem Recht.
Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn ein Unternehmen mit den ihm zur Verfügung stehenden seine fälligen Forderungen nicht mehr begleichen kann.

Binnen 45 Tagen ist dann grundsätzlich Insolvenz oder Liquidation anzumelden.

Tabellarische Darstellung französischer Vor- und Insolvenzverfahren

2. Auswirkungen auf laufende Handelsverträge

Die Kündigung von laufenden Verträgen zum Zeitpunkt der Eröffnung eines Rettungs- oder Sanierungsverfahrens aufgrund dieser Eröffnung ist untersagt (Art. L.622-13 und L.631-14 des französischen HGB). Nur der Insolvenzverwalter hat das Wahlrecht, einen laufenden Vertrag fortzuführen oder zu kündigen. Entscheidet er sich für die Fortführung, muss er die Zahlung für Forderungen, die nach Eröffnung entstehen, garantieren. Um vertragliche Unsicherheit zu vermeiden, sollten Gläubiger den Insolvenzverwalter per Einschreiben mit Rückschein nach seiner Position fragen. Antwortet er nicht, endet der Vertrag automatisch einen Monat nach Erhalt der Anfrage.

3. Forderungsanmeldungen und Geltendmachung von Herausgabe-ansprüchen

Forderungen sind beim Gläubigervertreter (mandataire judiciaire) binnen 2 Monaten (+2 Monate für ausländische Gläubiger) nach Veröffentlichung des Eröffnungsurteils im BODACC anzumelden. Herausgabeanträge sind binnen 3 Monaten beim Insolvenzverwalter (administrateur judiciaire) zu stellen. Achtung: es handelt sich hier um Ausschlussfristen!

4. Unternehmenskauf aus der Insolvenz

Nach französischem Recht ist der Verkauf eines insolventen Unternehmens aus einem Rettungs- oder Sanierungsverfahren nur in Betracht zu ziehen, wenn keine Fortführung möglich ist. Seit 2014 gibt es jedoch auch die Möglichkeit eines Pre-Packs, d.h. einer vorbereiteten Abwicklung.

Grundsätzlich steht ein Unternehmen jedoch erst ab Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (redressement judiciaire) zum Verkauf. Der Insolvenzverwalter schreibt die betroffenen Unternehmen (Aktiva) zum Verkauf aus und bestimmt die Fristen, binnen derer die Übernahmeangebote bei ihm einzureichen sind (meistens stehen nur wenig Informationen zur Verfügung). Diese Informationen werden auch beim Handelsgericht veröffentlicht.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten zum Verkauf stehende insolvente Unternehmen in Frankreich zu suchen, z.B.: über die Datenbank der Insolvenzverwalter www.aspaj.fr oder www.verif.com/Hit-parade/03-Defaillance/01-Par-departement/.

B. Vorübergehende Ausnahmeregelungen in der sanitären Krise

1. Einfachere Voraussetzungen für ein beschleunigtes Rettungsverfahren („conditions d’ouverture simplifiées pour des procédures de sauvegarde accélérées“)

Normalerweise ist ein beschleunigtes Rettungsverfahren nur möglich, wenn der Schuldner einen konsolidierten Jahresabschluss erstellt und mindestens eine der drei folgenden Schwellenwerte überschreitet:

• 20 Arbeitnehmer oder mehr zum Zeitpunkt des Antrags

• Mindestens 3 Mio € Umsatz pro Jahr ohne MwSt.

• Mindestens 1,5 Mio € Bilanzsumme.

Ausnahmsweise gelten diese Schwellenwerte/Voraussetzungen nicht für beschleunigte Rettungsverfahren, die bis spätestens am 31. Dezember 2021, eingeleitet werden.

2. Vereinfachtes Alarmverfahren für den Abschlussprüfer („Procédure d’alerte simplifiée pour le commissaire aux comptes“)

Normalerweise muss der Abschlussprüfer die Geschäftsführung informieren, sobald er Kenntnis von Tatsachen erlangt, die die Fortführung der Geschäftstätigkeit gefährden und ein sog. Alarmverfahren („procédure d’alerte“) einleiten.

Dieses Verfahren erfolgt in 4 Schritten insofern eine Etappe nicht erfüllt wird.:

1. Benachrichtigung der Geschäftsführung mit der Aufforderung mitzuteilen, welche Maßnahmen ergriffen werden, um die Situation zu verbessern.

2. Benachrichtigung des Verwaltungsrats mit der gleichen Auflage

3. Einberufung einer Gesellschafterhauptversammlung

4. Information des Handelsgerichts und Vorladung der Geschäftsführung

Ausnahmsweise kann der Abschlussprüfer bis zum 31. Dezember 2021 bei Eilbedürftigkeit und wenn die Geschäftsführung nicht nach erster Aufforderung die notwendigen Maßnahmen ergreift, sofort den Präsidenten des zuständigen Handelsgerichts über die gesamte Sachlage informieren und ist hierbei vom Berufsgeheimnis entbunden. Der Geschäftsführer wird dann kurzfristig beim Gericht vorgeladen, um sich zu erklären.

3. Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen während des Schlichtungsverfahrens („suspension des poursuites pendant la procédure de conciliation“)

Normalerweise können Gläubiger, auch wenn sie an der Verhandlung von Schlichtungsmaßnahmen teilnehmen, währenddessen weiter ihre Rechte gegen den Schuldner durchsetzen, solange keine gütliche oder gerichtlich anerkannte Schlichtung erfolgt ist. Der Schuldner kann jedoch jederzeit nach Abmahnung eine Gnadenfrist von bis zu 2 Jahren beantragen, um die laufende Vollstreckung zu vermeiden.

Ausnahmsweise kann der Schuldner bis zum 31. Dezember 2021 (auch in laufenden Verfahren) sogar schon vor Abmahnung oder Vollstreckung eine Gnadenfrist beantragen, wenn ein Gläubiger der Aussetzung auf Aufforderung des Schlichters nicht innerhalb der Frist von 15 Tagen zugestimmt hat. Er kann auch die Aussetzung laufender Gerichtsverfahren oder das Verbot, ein solches Verfahren einzuleiten, beantragen, sowie die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen und die Vertagung oder Stundung von geschuldeten Summen.

Die Aussetzung endet mit dem Ende des Mandats des Schlichters. Zu beachten ist, dass ein Antrag pro Gläubiger zu stellen ist.

4. Privileg für „New Money“ oder „Post Money“

Bis zum 31. Dezember 2021 werden Personen, die während der Überwachungsperiode einen Geldzufluss zusagen, um die Fortführung der Geschäftstätigkeit zu sichern und diejenigen, die eine solche Verpflichtung für die Durchführung eines Sanierungs- oder Fortführungsplans oder im Rahmen der Änderung eines Plans übernehmen, zukünftig vor allen anderen Gläubigern (außer den Angestellten) befriedigt.

Diese Sonderregelung gilt nicht für Teilhaber oder Aktionäre, die im Rahmen einer Kapitalerhöhung Geld einbringen.

5. Verlängerung von Fortführungs- und Rettungsplänen („Prolongation de plans de sauvegarde et de redressement“)

Normalerweise ist die Dauer von Rettungs- und Fortführungsplänen auf 10 Jahre begrenzt.

Ausnahmsweise kann das Gericht auf Antrag bis zum 31. Dezember 2021 einen solchen Plan um ein Jahr verlängern.

Auf Antrag des Staatsanwalts oder des Verwalters, der die Ausführung des Plans überwacht („commissaire à l’exécution du plan“) kann ein Plan sogar um 2 Jahre, d.h. maximal 12 Jahre insgesamt, verlängert werden.

6. Vereinfachte Prozedere im Rahmen von Rettungs- und Fortführungsplänen („procédés simplifiés dans le cadre de plans de sauvegarde et de redressement“)

a. Kürzere Fristen

Normalerweise haben die Gläubiger eine Frist von einem Monat, um zu einem Sanierungs- oder Insolvenzplan Stellung zu nehmen.

Ausnahmsweise, und bis zum 31. Dezember 2021, wurde diese Frist auf 15 Tage verkürzt.

b. Einfachere Befragungsmethode

Normalerweise wird mit Einschreiben per Rückschein gearbeitet.

Ausnahmsweise, und bis zum 31. Dezember 2021, können alle Mittel für die Befragung eingesetzt werden.

c. Vereinfachte Basis für Rettungs- und Insolvenzpläne

Normalerweise müssen solche Pläne die Rückzahlung aller angemeldeter und bekannter Forderungen beinhalten, d.h. auch die bestrittenen Forderungen.

Ausnahmsweise, und bis zum 31. Dezember 2021 (auch für laufende Verfahren), müssen die Pläne nur, vorausgesetzt es liegt ein Attest eines Abschluss- oder Wirtschaftsprüfers vor, angemeldete oder nicht bestrittene, sowie identifizierbare Forderungen berücksichtigen.

Schlussfolgerung:

Die Coronakrise setzt und wird auch weiterhin der Wirtschaft zusetzen.

Je besser man das französische Insolvenzrecht durchschaut, umso mehr kann man als Berater oder für sein Unternehmen Vorteile daraus ziehen oder die Gelegenheit nutzen, ein angeschlagenes Unternehmen mit hohem Potential zu einem guten Preis zu erwerben.

Wir stehen Ihnen bei Fragen gerne zur Verfügung.

Bitte beachten Sie, dass sich die Gesetzeslage ständig ändert und die obenstehenden Angaben dem Stand 15. Januar 2021 entsprechen.

Nicola Kömpf, Avocat au Barreau de Paris et Rechtsanwältin Berlin, Leiterin des German Desk

in Zusammenarbeit mit Gilles Podeur, Avocat au Barreau de Paris, Leiter der Praxisgruppe Restructuring

Verbraucherrecht und Schiedsvereinbarung

Auch wenn sich das Verbraucherrecht und die Schiedsgerichtsbarkeit nur selten begegnen, kommt es doch von Mal zu mal zu Situationen, in denen der Verbraucher, oft im Rahmen von AGB, einer Schiedsklausel zustimmt und dann im Streitfall versucht sich davon zu lösen.

Während die rigorose Formvorschrift des § 1031 Abs. 5 ZPO diese Fälle im deutschen Recht bis auf wenige Fälle Abhilfe geschaffen hat , ist die Rechtslage in Frankreich komplizierter. Ein wichtiges, die bisherige Rechtslage änderndes Urteil der Cour de cassation vom 30.09.2020 ( Nr.18-19.241) gibt Anlass, den Hintergrund kurz zu beleuchten und die Entscheidung darzustellen.

Das französische Schiedsverfahrensrecht unterscheidet zwischen nationalen und internationalen Schiedsverfahren. Diese Unterscheidung wirkt sich auch beim Verbraucherschutz aus. Bei nationalen Schiedsverfahren bestimmt seit einem Gesetz aus dem Jahre 2016 Art. 2061 Abs. 2 Code civil, dass Schiedsvereinbarungen zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher für den Verbraucher „optional“ sind; der Verbraucher kann entscheiden, ob er sich an die Schiedsvereinbarung gebunden fühlt oder nicht.

In internationalen Verfahren war die Rechtslage bis zu der hier behandelten Entscheidung des Kassationsgerichtshofs vom 30.09.2020 für den Verbraucher sehr viel nachteiliger. In zwei Entscheidungen aus den Jahren 1997 (21.05.1997, Nr. 95-11.427 „Jaguar“) und 2004 30.03.2004 (Nr. 02-123-259 „Rado“) hatte der Kassationsgerichtshof geurteilt, dass der Verbraucher an die Schiedsvereinbarung gebunden ist. Im ersten Fall ging es um ein in England bestelltes Jaguar Fahrzeug mit Spezialausstattung, in der Entscheidung aus dem Jahre 2004 um Finanzanlagen mit zwei US Banken in New York. Die Schiedsvereinbarungen sahen ein Schiedsgericht in England bzw. New York vor. Die französischen Gerichte lehnten es ab, die Schiedsvereinbarung genauer auf ihre Vereinbarkeit mit den französischen oder europäischen Verbraucherschutzvorschriften hin zu untersuchen. Das sei Aufgabe des Schiedsgerichts.

Die rechtlichen Begründungen dieser beiden Entscheidungen liegen in zwei Besonderheiten des französischen Schiedsverfahrensrecht begründet: Bei internationalen Schiedsverfahren unterliegt die Schiedsvereinbarung keinem nationalen Recht, sondern schöpft ihre Bindungswirkung aus den Grundsätzen des internationalen Rechts. Die Grenzen der Zulässigkeit werden durch den internationalen ordre public bestimmt.

Art. 2061 Code civil findet deshalb keine Anwendung auf internationale Schiedsverfahren.

Der zweite Grund liegt im Prinzip der negativen Kompetenz – Kompetenz, eine Folge der Einrede der Schiedsvereinbarung, Art. 1448 Code de procédure civile (CPC) i.V.m. Art. 1502 CPC. Danach müssen sich die ordentlichen staatlichen Gerichte bei Erhebung der Einrede für unzuständig erklären, es sei denn, das Schiedsgericht ist noch nicht mit der Sache befasst und die Schiedsklausel ist nicht offensichtlich unanwendbar oder offensichtlich unwirksam.

In der Entscheidung der Cour de cassation vom 30.09.2020 ging es um folgenden Sachverhalt: Eine in Frankreich ansässigen Erbin (Klägerin) eines in Spanien verstorbenen Erblassers hatte mit einem spanischen Rechtsanwaltsbüro einen Beratungsvertrag über erbrechtliche Fragen im Zusammenhang mit dieser Erbschaft abgeschlossen. Die AGB des spanischen Rechtsanwaltsbüros enthielten eine Schiedsvereinbarung zugunsten der in Madrid ansässigen Schiedsorganisation CIMA. Die Erbin war mit den Leistungen des spanischen Rechtsanwaltbüros nicht zufrieden und verklagte es (neben weiteren Personen) vor dem Landgericht Nanterre auf Schadensersatz. Das beklagte Rechtsanwaltsbüro erhob die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit.

Bereits die Vorinstanz (Cour d’appel de Versailles) hatte die Einrede unter Berufung auf den zwingenden Charakter von Verbraucherschutzvorschriften zurückgewiesen und sich damit gegen die bisherige Rechtsprechung gestellt. Die Cour de cassation bestätigte das Urteil und ändert damit ihre bisherige Rechtsprechung.

Sie greift zu diesem Zweck nicht auf das französische, sondern auf das europäische Verbraucherrecht zurück. Die Argumentation nimmt ihren Anfang bei der EU Richtlinie 13/93 vom 5.04.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.

Die Cour de cassation prüft zunächst, aus welchem Grund eine EU Richtline auf diese Schiedsklausel überhaupt Anwendung findet. Sie findet die Begründung in Art. 6 Rl 13/93, der eigentlich nur die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten vorsieht, die Richtlinie konform umzusetzen, so dass die ungleichgewichtigen Vertragsbestimmungen den Verbraucher nicht binden. Allerdings zitiert der Kassationsgerichtshof das Urteil des EuGH vom 20.09.2018 (OTP Bank /OTP Faktoring, C 51/17, Zif. 89), wonach Art. 6 RL 13/93 einer zwingenden nationalen Vorschrift gleichzusetzen sei. Der Kassationsgerichtshof fügt, ebenfalls unter Hinweis auf das EuGH Urteil OTP (dort Zif. 86) unter Hinweis auf Art. 7 § 1 der Rl 13/93 und Erwägungsgrund 24 hinzu, dass der Verbraucherschutz im gemeinschaftsrechtlichen Normgefüge eine grundlegende Bedeutung habe. Den Verbrauchern müssen adäquate und wirksame Mittel und Wege zur Durchsetzung ihrer Rechte zur Verfügung stehen, wozu die Einleitung eines Gerichtsverfahrens unter vernünftigen Bedingungen zähle, insbesondere hinsichtlich der Kosten und der Fristen (EUGH 21.04.2016 Radinger,C 377/14 , Zif. 46).

Zwar hätten die Mitgliedsstaaten mangels einer europäischen Zivilverfahrensordnung eine verfahrensrechtliche Autonomie. Diese sei aber insofern beschränkt, als sie eine Äquivalenz der Rechtsdurchsetzung in europäischen Verfahren im Vergleich zu nationalen Verfahren gewährleisten müsse. Diese Mittel dürften die Rechtsdurchsetzung in der Praxis weder unmöglich noch außerordentlich schwierig machen. Der erwähnte Art. 1448 CCP dürfe dies nicht zur Folge haben. Das Berufungsgericht habe deshalb mit zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Gründen die Schiedsklausel als offensichtlich missbräuchlich angesehen. Die Einrede der Schiedsgerichtsbarkeit wird deshalb zurückgewiesen.

Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern in internationalen Streitigkeiten sind damit nach französischem Recht unwirksam, zumindest, wenn sie sich in AGB befinden. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Schiedsordnung fair oder unfair ist, ob sie die Rechts des Verbrauchers voll gewährleistet oder sie einschränkt. Weder der Kassationshof noch das Berufungsgericht haben diese Frage überhaupt geprüft.

Die Begründung der Entscheidung wirft, wie viele Entscheidungen der Cour de cassation, durchaus Fragen auf, die hier nicht behandelt werden können. Das Ergebnis ist jedoch eindeutig.

Zwei Ausnahmen von dieser Regel sind möglich oder vorstellbar: Wenn die Schiedsklausel „optional“ ist, also dem Verbraucher das Recht einräumt, alternativ die staatlichen Gerichte anzurufen, werden die Rechts des Verbrauchers nicht eingeschränkt.

Möglich erscheint auch, dass eine Schiedsklausel dann Bestand haben könnte, wenn sie speziell verhandelt worden ist. Der Grund dieser Annahme liegt darin, dass der Kassationshof zusätzlich zu den oben geschilderten Gründen im Rahmen eines weiteren Kassationsantrags noch geprüft hat, ob die Klausel im Einzelnen verhandelt wurde. Dies war jedoch nicht der Fall. Zu dieser Prüfung hätte keine Veranlassung bestanden, wenn es darauf nicht hätte ankommen können. Auch die Begründung mit der Richtlinie 13/93 deutet darauf hin. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Nachweis einer speziellen Verhandlung und Vereinbarung schwer zu führen sein wird – dem deutschen Juristen, der die Anforderungen an den Nachweis einer effektive Verhandlung über eine AGB Klausel kennt, ist das nichts Neues.

Nicola Kömpf, Partner, Friedrich Niggemann, Of Counsel und Mathilde Gicquel, Angestellte Rechtsanwältin, German desk