Covid 19 – “Force Majeure” – und neue gesetzliche Fristen im französischen Vertragsrecht

14 April 2020
Nicola Kömpf, Friedrich Niggemann

Die zurzeit grassierende Epidemie stellt für viele Unternehmen eine bisher noch nicht dagewesene Herausforderung dar. Ein solches Ereignis ist zu unseren Lebzeiten noch nicht eingetreten; seine Bewältigung ist schwierig und stellt oft eine existenzgefährdende Situation dar. Aus juristischer Sicht fragt man sich dann sofort, ob diese Umstände es rechtfertigen einen Vertrag nicht zu erfüllen oder seine Erfüllung zu verschieben, bzw. auszusetzen.

Was bedeutet „Höhere Gewalt“ bzw. „Force Majeure“?

Dieser Terminus hat seinen Ursprung im französischen Recht; das deutsche Recht kommt weitgehend ohne ihn aus, da eine vertragliche Nichterfüllung ein Verschulden voraussetzt; das ist nach französischem Recht nicht der Fall. Während also im deutschen Recht mangelndes Verschulden ausreicht um eine Vertragspartei nicht haften zu lassen, braucht es im französischen und auch in anderen Rechten mehr: Da eine Vertragspartei auch ohne Verschulden haftet, haftet sie bei jedem Vertragsverstoss, es sei denn, sie kann sich auf ein Ereignis Höherer Gewalt berufen.

Grundsätzliche Voraussetzungen der Höheren Gewalt im französischen Recht

Art. 1218 des Code civil, der seit Oktober 2016 gilt, enthält eine Definition der Force Majeure. nach der vier Voraussetzungen müssen erfüllt sein:

– das Ereignis muss sich der Kontrolle der Vertragspartei, die sich darauf beruft, entziehen,

– es durfte bei Abschluss des Vertrages nicht vernünftigerweise vorhersehbar sein,

– die Folgen können mit angemessenen Mitteln nicht überwunden werden, und

– diese Umstände müssen die Vertragserfüllung des Schuldners verhindert haben.

Diese Voraussetzungen wurden im Jahre 2016 bei der Reform des Vertragsrechts des Code civil im Gesetz festgeschrieben. Sie entsprechen allerdings dem von der Rechtsprechung vorher schon entwickelten Begriff.

Höhere Gewalt in der augenblicklichen Situation

– Es kann nicht bezweifelt werden, dass die Corvid 19 Epidemie ein sich der Kontrolle des Schuldners entziehendes Ereignis ist. Dieser Definitionsbestandteil ist etwa in Streikfällen problematisch, wobei danach zu unterscheiden ist, ob der Streik nur im Unternehmen des Schuldners stattfindet oder national ist.

– Die augenblickliche Situation ist auch unvorhersehbar. Es kommt dabei nicht auf einen völlig abstrakten Begriff der Vorhersehbarkeit an, sondern, wie das Gesetz auch sagt, auf einen „vernünftigen“ Standpunkt. Epidemien dieser Art hat es in Europa seit 100 Jahren nicht gegeben. Das Gesetz stellt für die Vorhersehbarkeit auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab. Wird also jetzt ein neuer Vertrag abgeschlossen, können sich die Parteien nicht auf die Epidemie als Entschuldigungsgrund berufen.

– Die Unüberwindbarkeit und die Verhinderung (Unmöglichkeit) sind ist auch in der jetzigen Situation keineswegs immer gegeben. Hier ist vielmehr zu prüfen und zu beweisen, dass das Ereignis die konkrete Vertragserfüllungshandlung unmöglich gemacht hat. Es kommt auf die Ursächlichkeit des Ereignisses an. Wenn es etwa um die Lieferung einer Sache geht, muss der Lieferant nachweisen, dass ihm die Lieferung unmöglich geworden ist. Es reicht nicht aus, auf Transport- oder Versorgungsprobleme hinzuweisen; es muss genau dargelegt werden, wieso diese Probleme die Lieferung unmöglich machen. Dabei ist hervorzuheben, dass ein höherer Aufwand oder höhere Kosten nicht ausreichen. Dieser Mehraufwand muss von der betroffenen Partei getragen werden. Aus Erfahrung kann man sagen, dass der Nachweis der Entlastung durch Höhere Gewalt oft daran scheitert, dass die konkrete Kausalität nicht bewiesen werden kann. Die französische Rechtsprechung ist in der Regel auch zurückhaltend dies zu akzeptieren.

Ein Ereignis Höherer Gewalt kann die Nichtzahlung von Geldschulden nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht entschuldigen; Ausnahmen wären gesetzliche Zahlungsverbote oder Embargobestimmungen.

Die Höhere Gewalt kann die Leistungserbringung dauernd unmöglich machen. Dann ist der Schuldner von seiner Pflicht zur Leistungserbringung befreit (Art. 1218 Abs. 2 i.V.m. 1351 Code civil). Bei einer nur teilweisen Unmöglichkeit tritt die Befreiung für die Teilleistung ein. Das setzt aber voraus, dass die Teilleistung überhaupt wirtschaftlich sinnvoll ist. Die Gegenleistung braucht nicht erbracht zu werden; wurde sie schon geleistet, kann sie zurückgefordert werden. Häufig tritt aber nur eine vorübergehende Unmöglichkeit ein. Für diesen Fall bestimmt Art. 1218 Abs. 2, dass nach Beendigung und einer angemessenen Anlaufzeit die Verpflichtung zur Vertragserfüllung wieder einsetzt. Für die Dauer der Höheren Gewalt ist der Schuldner entschuldigt; er braucht keine Vertragsstrafen oder Schadensersatz wegen Verzuges zu leisten; eine Vertragsauflösung wäre auch nicht gerechtfertigt.

Weitere Gesetzesgrundlagen, die in Bezug auf „Force Majeure“, zu beachten sind

– Aus Art. 1351 1 Code civil lässt sich entnehmen, dass die Parteien vereinbaren können, dass der Schuldner das Risiko des etwaigen Eintritts der Force Majeure übernimmt.

– Art. 1351 Code civil besagt weiter: Wenn das Ereignis von Force Majeure eintritt, nachdem der Schuldner vom Gläubiger gemahnt wurde, er also bereits in Verzug war, entlastet ihn die Höhere Gewalt nicht.

– Wird der Vertrag nach Art. 1351 Code civil beendet und hat der Gläubiger vorgeleistet, so kann er seine Leistung zurückverlangen.

– Art. 1218 Code civil bestimmt, dass im Falle einer dauernden Unmöglichkeit der Vertrag von Gesetzes wegen aufgelöst ist. Es ist jedoch unklar, wie man das Ende des Vertrages feststellt; eine formelle Kündigung schafft daher klare Verhältnisse.

– Neben der Force Majeure sieht der Code civil seit der Reform des Vertragsrechts im Jahre 2016 auch den Fall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, auf Französisch „imprévision“, vor, Art. 1195 Code civil. Dies ist eine völlige Neuerung in unserem Recht. Auch die „imprévision“ setzt ein unvorhersehbares Ereignis voraus, das die Leistungserbringung zwar nicht unmöglich macht, aber außerordentlich erschwert. Ein solcher Fall verpflichtet zur Nachverhandlung des Vertrages; falls das scheitert, wird der Vertrag ggf. mit richterlicher Hilfe aufgelöst. Auch die „imprevision“ kann im Falle der Covid 19 Epidemie eine wichtige Rolle spielen. Allerdings geht der Weg über eine zu verhandelnde Vertragsanpassung, was schwierig sein kann und , für die auf wenig Erfahrung zurückgegriffen werden kann.

Vorsicht bei vertraglichen Anpassungen der „Force Majeure“

Wenn der Vertrag dem französischen Recht unterliegt, gelten die oben dargestellten Grundsätze. Der Vertrag kann aber auch selbst eine Force Majeure Klausel enthalten, die, soweit sie reicht, den gerade dargestellten Regeln vorgeht oder sie ergänzt.

In Verträgen findet man häufig folgende Bestimmungen:

– Eine engere oder weitere Definition der Force Majeure. Insbesondere werden bestimmte Ereignisse aufgelistet, die einen Fall von Force Majeure darstellen sollen. Dies ist zwar rechtlich zulässig, es ist aber Vorsicht geboten: Auch wenn ein vertraglich definiertes Ereignis eingetreten ist, bedeutet das nicht automatisch, dass auch die Rechtsfolgen der Force Majeure eintreten. Auch die sonstigen Voraussetzungen der Force majeure müssen gegeben sein.

– Häufig wird vorgesehen, dass die von der Force Majeure betroffene Partei das Ereignis unverzüglich mitzuteilen hat und die Ereignisse beweisen muss. Die Beweislage unterscheidet sich nicht von der des Gesetzes; die Mitteilungspflicht muss sorgfältig beachtet werden, damit der anderen Partei kein Schaden entsteht.

– Oft wird ein Zeitraum vorgesehen, bei dessen Überschreitung die Parteien den Vertrag beenden können. Solche Klausel sind durchaus gefährlich, da sich daraus die Rückgewähr der erbrachten Leistungen ergeben kann. Eine Verhandlungslösung ist dem vorzuziehen.

– Es kann auch vereinbart werden, dass eine Partei bestimmte Ereignisse zu ihren Lasten nimmt und sich dabei nicht auf Höhere Gewalt berufen kann. Solche Klauseln gibt es bei Beschaffungsverpflichtungen; der Lieferant muss deshalb besondere Vorkehrungen treffen, ggf. durch Abschluss einer Versicherung oder alternative Bezugsquellen.

Bei einer rechtlichen Beurteilung ist immer zuerst von der bestehenden vertraglichen Vereinbarung auszugehen; das Gesetz greift nur insoweit ein, als es die getroffenen Vereinbarungen ergänzt.

Ungerechtfertigte Berufung auf „Force Majeure“

Wir möchten darauf hinweisen, dass die Berufung auf Force Majeure nicht leichtfertig erfolgen sollte. Erweist sich später, dass das Ereignis zwar außerhalb der Kontrolle des Schuldners lag und unvorhersehbar war, aber nicht zu einer Unmöglichkeit der Leistungserbringung geführt hat, ist der Schuldner nicht entlastet und haftet für seine Vertragsverletzung. Es ist sicherer die Situation mittels Verhandlungen und durch Zusammenarbeit zu lösen.

COVID 19 – Eingriff des Gesetzgebers – Fristen im frz. Vertragsrecht – neue Schutzperiode

Nachdem die sanitäre Krise unsere Wirtschaft tief beeinträchtigt, hat die französische Regierung per Verordnung Nr. 2020-306 vom 25. März 2020 eine sog. „Schutzperiode“ („période juridiquement protégée“) festgelegt, während derer Fristen ausgesetzt oder verschoben werden.

Diese Schutzperiode läuft vom 12. März 2020 bis 24. Juni 2020 und gestaltet sich im Überblick wie folgt:

Schwierigkeiten in der Vertragserfüllung und Schutzperiode

Verträge enthalten häufig Vertragsstrafen, Strafklauseln, Kündigungsklauseln, etc. um eine Partei davor zu schützen, dass die andere ihren Vertragspflichten nicht fristgerecht nachkommt (z.B. Liefer- oder Zahlungsverzug).

• Sollte eine solche Frist während der Schutzperiode auslaufen, d.h. zwischen dem 12. März 2020 und dem 24. Juni 2020, ist die entsprechende Klausel unwirksam und keine Vertragsstrafe kann zu laufen beginnen. Diese Bestimmunen treten erst wieder nach Ablauf einer Frist von einem Monat nach Ende der Schutzperiode in Kraft, d.h. ab dem 25. Juli 2020, vorausgesetzt natürlich, dass der Schuldner seiner Vertragspflicht nicht in der Zwischenzeit nachgekommen ist.

Beispiel: Im Rahmen einer Kündigungsklausel (clause résolutoire) hat Ihre Firma ihrem Schuldner eine Frist gesetzt binnen 10 Tagen ab dem 6. März 2020 eine Vertragspflicht zu erfüllen. Die Frist wäre während der Schutzperiode, am 16. März 2020, abgelaufen.

Diese Frist ist jedoch ausgesetzt und beginnt erst wieder am 25. Juli 2020 zu laufen, um am 3. August 2020 zu enden.

• Wenn eine Strafklausel oder Vertragsstrafe vor dem 12. März 2020 wirksam geworden ist, d.h. vor Beginn der Schutzperiode, wird sie während dieser Periode ausgesetzt und die Fristberechnung beginnt erst wieder ab dem 25. Juni 2020.

Beispiel: Ein Vertrag sieht vor, dass die Vertragserfüllung spätestens am 12.3.2020 zu erfolgen hat, anderenfalls wird eine Vertragsstrafe von 5000 € pro Tag fällig. Der Lauf dieser Vertragsstrafe wird ab dem 12. März 2020 bis zum 24. Juni 2020 ausgesetzt. Die Pönalen beginnen erst wieder am
25.Juni zu laufen.

Folglich muss jede Situation wie folgt geprüft werden:

• Wenn der Erfüllungszeitpunkt in die Schutzperiode fällt, wird der Beginn auf einen Monat nach Ende der Schutzperiode verschoben, d.h. bis zum 25. Juli 2020.

• Wenn die Strafklausel oder Vertragsstrafe vor dem 12. März 2020 Wirkung entfaltet hat, wird sie ausgesetzt bis zum Ende der Schutzperiode, d.h. bis zum 25. Juni 2020.

Kündigung von Verträgen oder Nichtverlängerung in der Schutzperiode

Wenn ein Vertrag innerhalb einer Frist, die in der Schutzperiode liegt, gekündigt werden kann, oder die Nichtverlängerung ausgesprochen werden müsste, um eine stillschweigende Verlängerung zu vermeiden, werden diese Perioden um zwei Monate nach Ende der Schutzperiode verlängert, d.h. bis zum 24. August 2020.

Beispiel: Ein Vertrag verlängert sich am 15. April jeweils um ein Jahr, es sei denn, er würde von einer Partei spätestens einen Monat vorher gekündigt. Der Beginn dieser einmonatigen Frist liegt innerhalb der Schutzzeit. Die Kündigung ist immer noch bis zum 24. August 2020 möglich.

Nicola Kömpf, Partner und Friedrich Niggemann, Of Counsel, German desk