Nicht nur die umstrittene Rentenreform sorgt für interessante News aus Frankreich

03 Mai 2023
Nicola Kömpf und Mathilde Gicquel

I. Neuigkeiten aus dem französischen Arbeitsrecht

  1. Erleichterungen bei der Entsendung von Mitarbeitern nach Frankreich

Per Dekret vom 17. März 2023 wurde Art. R.1263-1 des französischen Arbeitsgesetzbuchs dahingehend geändert, dass kein Dokument mehr am Ort der Ausübung der Arbeit in Frankreich vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden muss, aus dem sich das auf den Arbeitsvertrag anwendbare Recht ergibt, noch aus dem man die Anzahl der abgeschlossenen Verträge und der dazugehörigen Umsätze im Ursprungsland und in Frankreich entnehmen kann.

  1. Die Strecke von zu Hause bis zur Arbeit kann bei Außendienstmitarbeitern als effektive Arbeitszeit gewertet werden

Im französischen Recht ist die effektive Arbeitszeit als diejenige definiert, während der der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und nicht seinen persönlichen Beschäftigungen nachgehen kann (Art. L.3121-1 französisches Arbeitsgesetzbuch), wobei sich aus Art. L.3121-4 des französischen Arbeitsgesetzbuchs ergibt, dass die Fahrzeit zwischen dem Domizil und dem Arbeitsplatz keine effektive Arbeitszeit ist.

Der französische Kassationshof hatte diese Interpretation auf die Fahrzeit von Außendienstmitarbeitern zwischen deren Domizil und dem ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück ausgedehnt.

Mit einem Urteil vom 1. März 2023 hat der französische Kassationshof seine Rechtsprechung geändert.

Die obengenannten Fahrzeiten von Außendienstmitarbeitern können als Überstunden gewertet werden, wenn der Mitarbeiter während dieser Zeit zur Verfügung des Arbeitgebers stand. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Fahrtenkalender im Voraus mit dem Vorgesetzten des Außendienstmitarbeiters abgestimmt wird und dieser während der Fahrzeit Anrufe wegen Eileinsätzen entgegennehmen muss.

Bei der Gestaltung der Arbeitsverträge von Außendienstmitarbeitern ist folglich Vorsicht geboten, um spätere Überstundenforderungen zu vermeiden.

  1. Es lebe der Sport !

Geschenke (Eintrittskarten, Transport, Unterkunft…), die Betriebsräte oder Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern für die Rugby-Weltmeisterschaft 2023 oder die Olympischen Sommerspiele 2024 (beide in Frankreich) machen, sind bis zu 25 % der monatlichen Obergrenze für die Sozialversicherung (d. h. 917 € im Jahr 2023) pro Kalenderjahr und Arbeitnehmer von Sozialversicherungsbeiträgen befreit.

  1. Achtung: auch bei Arbeitnehmern mit Jahrestagespauschelen („forfaits jours“) muss der Arbeitgeber die Arbeitszeiten im Auge behalten

Insbesondere Ruhezeiten müssen beachtet werden (der Arbeitgeber muss hier Videokonferenzen mit Zeitverschiebung und im Allgemeinen Sitzungen, an denen der Arbeitnehmer teilnimmt, in die Arbeitszeit miteinbeziehen, auch wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit weitgehend autonom gestalten kann (siehe frz. Kassationshof – 22. Februar 2022).

II. Neuigkeiten aus dem französischen Wirtschaftsrecht

  1. Geschenke an Kunden, um Gewinne und Marktanteile zu steigern, sind verboten

Im Rahmen ihrer Ermittlungsbefugnis hatte die französische Generaldirektion für Wettbewerb, Verbraucherschutz und Betrugsbekämpfung (DGCCRF) zwischen 2015 und 2021 in ganz Frankreich illegale Praktiken eines Pharmakonzerns aufgedeckt. Der pharmazeutische Hersteller bot Apothekern Geschenke u. a. als Gegenleistung für den Kauf von Produkten seiner Marken an und verstieß damit gegen die Bestimmungen des französischen Gesundheitsgesetzes. Diese Geschäftsstrategie hatte es dem Konzern ermöglicht, seine Gewinne und Marktanteile erheblich zu steigern.

Neben der Einziehung von mehr als 5,4 Millionen Euro, die strafrechtlich beschlagnahmt wurden, wurden gegen den Konzern im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens mit vorheriger Schuldanerkennung, Geldbußen in Höhe von insgesamt 1.125 Millionen Euro verhängt.

  1. Reorganisation des französischen Handelsregisters und Veröffentlichung von Jahresabschlüssen

Seit der großen Reorganisation der französischen Handelsregister am 1. Januar 2023 erfolgt die Einreichung von Jahresabschlüssen entweder elektronisch über die Plattform namens „Guichet Unique“ (d.h. dem „Elektronischen Ansprechpartner für alle Registeranmeldungen insbesondere im Gesellschaftsrecht“) oder in Papierform bei dem jeweiligen Handelsgericht. Die Inbetriebnahme des „Guichet Unique“ hat jedoch einen chaotischen Start erfahren und hat die Anmeldungen einige Wochen erheblich eingeschränkt.

Das Verfahren zur Veröffentlichung von Jahresabschlüssen auf elektronischem Wege bereitet weiterhin Probleme, so dass wir dringend empfehlen, in diesem Jahr Unterlagen in Papierform einzureichen.

Während einige Geschäftsstellen elektronisch unterzeichnete Unterlagen akzeptieren, verlangen andere immer noch handschriftlich unterzeichnete Originale, so dass wir dringend empfehlen, die handschriftliche Unterzeichnung in der erforderlichen Anzahl von Exemplaren vorzunehmen, um Schwierigkeiten bei der Hinterlegung der Jahresabschlüsse zu vermeiden.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass dieses Jahr die Ausnahmeregelungen der Covid-19-Krise ausgelaufen sind und somit Gesellschafterversammlungen in frz. „SAS“ (frz. vereinfachte Aktiengesellschaft) auf elektronischem Wege nur noch möglich sind, wenn dies in der Satzung vorgesehen ist. 

Unser German Desk steht Ihnen jederzeit für Rückfragen oder weitere Auskünfte im Gesellschafts-, Handels-, Arbeits- und Insolvenzrecht zur Verfügung.

Nicola Kömpf, Partner und Mathilde Gicquel, angestellte Rechtsanwältin.